Naturnahe städtische Randlagen werden in Zeiten des Klimawandels immer attraktiver.
Dornbirn-Haselstauden liegt am Hang des Fallenbergs. Es grenzt schon an den Wald und hat eine dörfliche Struktur.
Dort planten die Architekten Baumschlager Hutter Partners zwei Mehrfamilienhäuser mit 17 Wohnungen,
die deutlich größer sind als ihre Nachbarn. Mit ihren dunklen Holzfassaden
und flach geneigten Kreuzungen aus Sattel- und Schmetterlingsdach
fügen sie sich sehr gut in ihr Umfeld ein.

Text: Isabella Marboe · Fotos: Jens Ellensohn

Die Lage ist wunderbar: Unweit vom Zentrum schlängelt sich die Mühlegasse durch Dornbirn-Haselstauden hangaufwärts. Oben ist kühlender Wald in Fußweite und die Bebauungsdichte niedrig. Trotzdem wohnen nicht Reich und Schön, sondern „ganz normale Vorarlberger“ da, wie Architekt Carlo Baumschlager weiß. Die Grundstücke aber sind sehr teuer, auszunutzen und dichter zu bebauen macht doppelt Sinn. Die Mühlegasse ist sehr lang, recht weit oben, unmittelbar gegenüber der Einmündung der Tobelgasse realisierten Baumschlager Hutter Partners für den Bauträger Karrenblick zwei Mehrfamilienhäuser. Das ist kein leeres Versprechen: von den oberen Etagen hat man tatsächlich einen unverstellten Blick auf den Karren. Die Häuser, die unterirdisch durch die Garage verbunden sind, bringen es auf drei Geschoße und 17 Wohnungen. „Das ist ein Maßstabssprung, den man gestalterisch bewältigen und abfedern muss“, so Baumschlager.

Holzstapel, Gebüsch, alte Bauern- und neuere Einfamilienhäuser definieren das Umfeld. Sattel- und Walmdachformen prägen den Großteil der Nachbarschaft, die meisten Firste verlaufen senkrecht auf die Straße, andere richten sich nach Höhenschichtlinien und Grundgrenzen. Carlo Baumschlager übernahm dieses Thema, das hier gleichermaßen in der Luft liegt, und variierte es ein wenig. Ein flaches Satteldach wurde um eine schräge Pultdachfläche verlängert, deren Überlappung wiederum ein Schmetterlingsdach erzeugt. Zu dritt bilden sie einen ziehharmonikaartigen Giebel aus, den die Architekten auf die Längsseite legten. Dieser Kunstgriff erzeugt sehr spannende Dachwohnungen, gliedert die Fassade und fügt sich gut in die Nachbarschaft. Carlo Baumschlager teilte das Volumen in zwei Baukörper. Der etwas größere Dreispänner steht gleichermaßen in erster Reihe normal auf die Straße, der seine schmale, fast fensterlose, rückwärtige Stirnseite zeigt. Die dunkel gebeizte Fassade aus vertikalen Fichtenholzlamellen erinnert an einen Stadel und reagiert damit angemessen zurückhaltend auf den Stadtraum. Hier lässt sich auch die Tiefgarageneinfahrt dezent in den Hang integrieren.

„Natürlich muss man sich an städtebauliche Vorgaben und
die wirtschaftlichen Zwänge des Bauträgers halten.
Die Kunst des Architekten ist es,
aus dem Standard etwas Besonderes zu machen.“

Carlo Baumschlager
Architekt

Leicht schrägt dazu ist der etwas kleinere Zweispänner gesetzt, seine Position gliedert den gemeinsamen Freiraum in zwei unterschiedliche Bereiche. Straßenseitig entsteht so ein halböffentlicher, keilförmiger Platz zwischen den Häusern, gleichermaßen der gemeinsame Vorgarten, der Bewohnende und Besuchende freundlich in Empfang und unter sich auch die Tiefgarage aufnimmt. Sie bildet die gemeinsame Basis beider Häuser. Eingang und Erschließung des Dreispänners erfolgen höchst raumökonomisch in einem schmalen, zweiläufigen Stiegenhaus in der Mitte der Längsfassade, die zum Vorplatz orientiert ist. Gewohnt wird nach Südwesten, wo einem Dornbirn zu Füßen liegt und der Karren aus dem Horizont auftaucht. „Natürlich muss man sich an städtebauliche Vorgaben und die wirtschaftlichen Zwänge des Bauträgers halten“, sagt Carlo Baumschlager. „Die Kunst des Architekten ist es, aus dem Standard etwas Besonderes zu machen.“ Die sehr spezifische Dachform nobilitiert die schlichten Baukörper. Dank der Hanglage und der nachbarlichen Hecke ist der Außenraum sehr geschützt. Eine starke Beziehung dazu herzustellen, ist hier also eine besondere Qualität. Daher sind die Wohnungen zugunsten größerer Freibereiche recht knapp, dafür sehr effizient zugeschnitten. Jedem Wohnraum ist eine Loggia vorgelagert. „Loggien sind eine wesentlich angemessenere Reaktion auf den Wunsch nach Freiraum als Balkone“, sagt Baumschlager. Sie treten nämlich nicht vor die Fassade, respektieren die Privatsphäre weit mehr, sind zur Gänze witterungsgeschützt und unterhalten eine wesentlich innigere Verbindung zum Wohnraum. Die im Vergleich zum Balkon stärkere Beschattung, die man der Loggia nachteilig auslegen könnte, wandelt sich in Zeiten des Klimawandels zu einem weiteren Plus.

Besonders privilegiert sind die Wohnungen am Eck: sie haben Licht von zwei Himmelsrichtungen. Angelika Kubesch bewohnt die Eckwohnung unterm Dach, ihr Panoramablick ist phänomenal. „Ich habe sie genommen, weil sie die schönste war.“ Man ist sehr geneigt, ihr zu glauben. Ihre Loggia öffnet sich auf zwei Seiten. Im Westen sieht sie über das Rheintal bis zu den Schweizer Bergen, im Osten in den Wald. Vogelgezwitscher bildet ihre Geräuschkulisse. „Abends gibt es hier Sonnenuntergänge, da komme ich mir vor wie in Sri Lanka.“ Das ist nicht das Einzige, was sie schätzt: der gepflegte Freiraum zwischen den Häusern führte dazu, dass sich in der Bewohnerschaft eine gute Gemeinschaft gebildet hat.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Mehrfamilienhaus Mühlegasse, Dornbirn

Bauherr: Karrenblick Projekt GmbH
Architektur: Baumschlager Hutter Partners
Statik: Mader Flatz ZT GmbH, Bregenz
Planung: Sept./2020–Nov./2022
Ausführung: Feb./2022–Dez./2023
Grundstück: 1639 m²
Nutzfläche: 1142 m²
Energiekennwert: Primärenergiebedarf 33 kWh/m2a
Fachplanung: Bauleitung: Hanno Bohle; Bau KG; Baumeister:CS-Bau, Dornbirn; Zimmerer: Kaspar Greber Holz-und Wohnbau GmbH, Bezau; Spengler: Spenglerhandwerk FeMA GmbH & Co. KG, Dornbirn; Schlosser: Summer-Metalltechnik GmbH, Feldkirch