In einem versteckten Tal in Hittisau fand der Bauherr endlich die Stille, die er immer gesucht hatte.
In das kleine, alte Auszugshaus, das dort am Waldrand stand, verliebte er sich sofort. Weil es nicht sanierbar war,
bauten es Klumpp und Klumpp Architekten aus alten Materialien so originalgetreu wie möglich wieder auf
und erweiterten es
im Westen um einen neuen Holzzubau. Die einstige Außenwand des Bestands wird
im Inneren zur Nahtstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Sein ganzes Leben lang suchte der Bauherr nach der Stille. Dann fiel sie ihm unvermutet zu. Er entdeckte unterhalb vom Hittisauer Platz ein Tal, über dem großer Frieden lag. Dort stand ein Auszugshaus an einer Straßenkehre, in dem die Altbauern des gegenüberliegenden Hofes wohnten. Ein schwerer Unfall zwang die hochbetagte Besitzerin zum Verkauf. Das Haus war gezeichnet von der Zeit, seine gestrickten Wände dunkel, jeder Balken gebogen, der Bauherr wollte es erhalten, er bat Bernardo Bader und Oskar Leo Kaufmann zum Lokalaugenschein, sie waren sich einig, dass es nicht zu retten sei.

Seine Frau Julia Klumpp betreibt das Stuttgarter Büro Klumpp + Klumpp Architekten. Sie begann, den Bestand zu sanieren und um einen deklariert neuen Zubau zu erweitern. „Das Haus hat so eine tolle Atmosphäre, es steht am Waldrand, das hat mich bezaubert. Es ist so eine andere Welt“, sagt Julia Klumpp. „Obwohl man im Tal ist, hat man eine großartige Aussicht.“ Im Süden führt eine beliebte Wanderroute vorbei. Ein Brunnen, eine Sonnenbank, dahinter setzte Klumpp die Garage in den Hang: Aus Beton, Nagelfluh im Zugschlag, mit einem spitz zulaufenden Dach als skulpturaler Referenz an die Berge. In einer Wandnische neben dem Garagentor steht eine Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute – und Architekt(inn)en.

„Das alte Haus hatte eine tolle Atmosphäre.
Die Herausforderung bestand darin, eine Struktur zu finden,
die diese beiden Welten
– das Alte und das Neue –
wieder verbindet.“

Julia Klumpp
Architektin

Die Garage hebt sich von der Landschaft ab, das Haus sieht aus wie immer, doch es ist neu. Nachdem die Planung genehmigt und die Sanierung schon in Gang war, zeigte sich, dass der Bestand tatsächlich nur als Ersatzneubau zu retten war. Dabei folgte Klumpp strikt der alten Typologie. „Hundert Jahre wohnten Menschen in diesem Grundriss. Er gehört hierher, deshalb ist er sklavisch der jetzige.“ Wie seit jeher betritt man das Haus im Osten, vier Stiegen führen auf das Podest vor der Tür. Sie sind nun aus Sichtbeton, unter dem Brennholz geschlichtet ist. Auch der Kamin aus Schwarzstahl in der Stube ist neu. Er hat zwei gläserne Türen und ragt ein wenig in den Eingangsflur, so kann man von dort schon in die Stube lugen. Sie ist nun – eine kleine Konzession an gegenwärtige Körpergrößen – 2,10 Meter statt zuvor zwei Meter hoch. Boden, Wand und Decke wurden aus alten Holzbalken gefertigt, die teils aus dem Bestand, teils aus anderen alten Häusern stammen. „Die Herausforderung lag darin, eine Struktur zu finden, die diese beiden Welten – das Alte und das Neue – wieder verbindet.“

Klumpp baute den neuen Zubau wie eine Scheune unter dem verlängerten Dach im Westen an. Er bietet genau das, was der Bestand nicht kann: hohe, helle, großzügige Räume mit viel Außenbezug. Die Fassade aus vorvergrauter Lärche aber wirkt, als stünde sie schon immer da. Einzig die großen Öffnungen der schlichten eingeschnittenen Balkone am Eck und das quadratische Fenster unterm Giebel verweisen darauf, dass der Zubau neu ist. Auch rückseitig in der rekonstruierten Schindelfassade mit den originalgetreu nachgebauten Fenstern gibt es so ein quadratisches Fenster unterm Giebel. Dazwischen spannt sich unterm Dach eine kleine, vollwertige Gästewohnung auf.

Die einstige westliche Außenwand des alten Hauses wird zur Nahtstelle, an der die höhlenartige Geborgenheit des Alten mit seinem dunklen Holz und den kleinen Fenstern auf die frische Weite von hellem, glattem Weißtannentäfer im Zubau trifft. Die große Wohnküche im Erdgeschoß erhält dank eines Oberlichtbands über der Schrankwand von drei Seiten Licht, im Süden öffnet sie sich mit wandfüllenden Glasschiebetüren zum überdeckten Sitzplatz im Freien, der sogar mit einem lauschigen Außenkamin aufwarten kann. Auch im ersten Stock gibt es ein Kaminzimmer und eine Sauna mit angrenzender Loggia im Freien.

Überall begegnet man aufmerksamen Details, besonders viel Hingabe steckte die Architektin in die Planung der Stiege: In handwerklicher Vorarlberger Präzision gefertigt, schraubt sie sich mit hohen Brüstungen als reduzierte Treppenskulptur aus Weißtanne bis unters Oberlicht am Dach. Dieses Haus verbindet das Wohngefühl der Vergangenheit mit dem der Gegenwart und dem Komfort, der dazu gehört. Innen ist das deutlich zu spüren, von außen wirkt es wie aus einem Guss. Es wird gut mit der Umgebung altern.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Haus Hittisau
Bauherr Julia Klumpp
Architektur Klumpp + Klumpp Architekten, BDA, Stuttgart, www.klumpp@klumpp-architekten.de
Planung 11/2015–05/2017
Ausführung 05/2018–10/2019
Grundstück 944 m²
Nutzfläche 223 m² (inkl. Loggien zu 50%; zzgl. Keller und Garage)
Bauweise Unterge­schoß mit Decke und Garage Stahlbeton; Wände: Holzrahmenbau­weise mit Dielendecken; Spar­rendach mit Faserzement-Deckung; Heizung: Erdwärme über Fußbodenheizung; Täfer/Böden: Weißtanne/Esche und Zirbe; Altholz (Re-Use) in der Stube; Boden
Ausführung Generalunternehmer: Alpina Hausbau, Hard; Rohbau: Haller, Sulzberg; Zimmerer: Bilgeri, Riefensberg; Fenster: Feuerstein, Oberstaufen (D); Kamine: Bell, Götzis; Sanitär, Heizung: Steurer, Andelsbuch; Elektro: Kirchmann, Langen; Sicherheit: NTA, Götzis; Boden Esche: Josef Fröwis, Bezau; Außen-
anlagen: Daniel Meusburger, Bezau; Innenausbau Möbel: Launer, Dinkelsbühl (D); Kalkpressputz Bäder: Hieble, Lindau (D); u. a.
Energiekennwert 30,9 kWh/m² im Jahr (HWB)