Der Lehmbaupionier Martin Rauch baut mit Stampflehm.
In seiner neuen Werkhalle in Schlins kann nun auch im großen
Maßstab
vorproduziert werden. Damit wird der Lehmbau
vereinfacht,
kostengünstiger und zugänglicher.

Text: Verena Konrad | Fotos: Nicolas Felder

Manchmal liegt das Gute so nahe und das Rezept für die Zukunft in der Vergangenheit. Bauen mit Lehm – für viele gilt Lehm als Baustoff des ökologischen Wandels schlechthin. Dabei ist der Lehmbau eine der ältesten Bautechniken der Welt. Im Lauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Techniken etabliert: darunter der Stampflehm, der Wellerbau und das Lehmsteinmauerwerk. Erstere ist die jüngste Technik in dieser Entwicklung und doch schon gut 1000 Jahre alt. Bis heute lebt ein Drittel der Weltbevölkerung in Lehmbauten. Auch die zeitgenössische Architektur hat den Lehm wieder entdeckt. Pritzker-Preisträger Wang Shu und Lu Wenyu von Amateur Architecture Studio, das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron und viele andere Architekt(inn)en bauen wieder mit Lehm, und das nicht nur im Innenraum – mit Lehmputzwänden, Böden, Öfen – sondern als konstruktives Material. Hier kommt Martin Rauch ins Spiel.

Der europäische Lehmbaupionier kam zum Lehmbau nicht etwa über die Architektur, sondern über seine Ausbildung als Keramiker, Ofenbauer und Künstler. In den 1980er-Jahren reiste Martin Rauch für mehrere Monate nach Afrika. Die dort gemachten Erfahrungen und die Reflexion der eigenen Praxis als Ofenbauer führten zu einer einschneidenden Erkenntnis: Bauen kann und soll im Kreislauf erfolgen, in optimaler Nutzung vorhandener Ressourcen und nicht mit Baustoffen, die ökologisch und klimatisch Schäden verursachen, kaum reparierbar, von weit hertransportiert werden müssen und so in der Verfügbarkeit eingeschränkt sind. Vor allem aber soll der Energieaufwand in der Herstellung reduziert werden.

„Mit unserer Arbeit wollen wir
den Lehmbau vereinfachen
und so mehr Menschen
zugänglich machen.“

Martin Rauch
Lehm Ton Erde

Der Fortschritt der Bauindustrie ist nicht zwangsweise ein Fortschritt für das ökologische Gleichgewicht, für soziale Gerechtigkeit, gesellschaftliche Teilhabe, für Gesundheit und (Bau-)Kultur. Rauchs Vision ist klar: So zu bauen, dass sich das Haus nach seiner Nutzung wieder in das zurückverwandeln kann, was es ursprünglich war: Von Erde zu Erde, rückstandsfrei und ohne jede Kontamination. Auf das Naheliegende zurückzugreifen, einen Rohstoff, der vorhanden ist und nicht herbeigeschafft werden muss, der in vielen Fällen sogar kostenlos oder kostengünstig vor Ort ist – eine Baupraxis, die nutzt, was da ist. Bauen ist für Rauch mehr als Produktion. Die handwerkliche Dimension macht seine Arbeit zum Kulturgut, der Maßstab und die Größe des Unternehmens zum wirtschaft-lichen Faktor. Was wir heute „Zero-Carbon“ oder „Co2-neutrale“ Architektur nennen, steckt im Lehmbau seit Jahrhunderten. Die zeitgemäße Umsetzung bringt ökologischen Anspruch, Raumklima und Arbeitspraxis in Einklang.

Dass die Anwendung alter Techniken nicht automatisch das Gegenteil von technologischem Fortschritt sein muss, ist die Erkenntnis, die beim Besuch der neuen Montagehalle von Lehm Ton Erde, dem Unternehmen von Martin Rauch, in Schlins ganz augenscheinlich wird. Nach vielen Jahren und vielen Projekten ist der Wunsch immer größer geworden, nicht nur an herausragenden einzelnen Gebäuden wie dem Ricola Kräuterzentrum in Laufen in der Schweiz (Herzog & de Meuron), dem Cinema Sil Plaz (Capaul & Blumenthal Architects), der Landwirtschaftlichen Schule Mezzana in Coldrerio (Conte Piananetti Zanetta Architetti) oder dem legendären Haus Rauch in Schlins (Martin Rauch mit Architekt Roger Boltshauser) zu bauen, sondern dem Stampflehmbau wieder in die Breite zu verhelfen, dort wo er historisch immer war und an anderen Orten der Welt ist, wo er aber heute keinen Platz mehr hat: Durch die Dauer der Produktion, durch logistische Hürden, durch Auflagen und Normen, die es einem Naturmaterial schwer machen, neben zertifizierten Materialien zu bestehen, aber auch durch Ansprüche, die wir heute an Gebäude stellen – in Bezug auf Nutzung und Annehmlichkeit.

Die neue Halle mit Stampfanlage ist ein Schritt in Richtung Vorfertigung, die es ermöglichen wird, den Lehmbau auf die nächste Stufe zu heben – aus Slow Tech wird nun High Performance. Hier kann nun nicht nur gestampft, sondern auch getrocknet und gelagert werden. Fertige Lehmblöcke werden mit Nummern versehen und können direkt von hier auf Reise gehen. Ökologisches Bauen ist das Gebot der Stunde. Ein Blick nach Schlins macht Hoffnung und Mut, dass es gelingen kann.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Erden Werkhalle, Schlins
Bauherr
Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins
Architektur
Martin Rauch, Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins; Projektleitung: Jomo Zeil
Fachplanung
Tragwerk, Geotechnik: gbd ZT, Dornbirn; Heizung: Gebhard Keckeis, Bürs; Elektro: René Fröhle, Schlins; Beleuchtung: Burtscher, Raggal; Bauphysik: BDT, Frastanz; Kulturtechnik: Adler+Partner, Klaus; Kunst: Martin Rauch; (u. a.)
Planung
01/2016–06/2019
Ausführung
06/2019 – (noch im Bau)
Grundstück
2000 m²
Nutzfläche
1450 m² Neubau
Konstruktion
Hybridbau Holz-Massivbauweise und Stampflehm auf Streifenfundamenten
Ausführung
Bauaufsicht: Andreas Metzler; Leitung Stampflehm: Leonar Stieger; Erdarbeiten: Matt, Schlins; Baumeister: Ammannbau/BWA, Schlins; Holzbau: Dobler, Röthis; Heizung: Gebhard Keckeis, Bürs; Elektro: Burtscher, Raggal; Lüftung: Aigner, Gunskirchen; Tore: Bösch, Schwarzach; Fenster/Portale: Manfred Bischof, Thüringerberg; Spengler: Feist, Satteins; Verglasung/Türen: Hartmann, Nenzing; Treppen: Geiger, Nenzing; Geländer, Trockenbau, Möbel: Lehm Ton Erde, Schlins (u. a.)
Energiekennwert
28,8 kWh/m² im Jahr
Kosten
4 Mill. Euro