Das neue Gemeindehaus Lochau der Bregenzer Architekten Helmut Kuëss
und Manfred Koller ist weit mehr als ein schöner Bau mit einer raffinierten Fassade, Gemeindeamt,
Bürgermeisterbüro, Bank, Polizeistation, Arztpraxen und Wohnungen.
Es bietet auch eine Terrasse mit Blick zum Bodensee und schafft dem Ort
mit seinem Vorplatz eine neue Mitte.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Darko Todorovic

Die Architekten Helmut Kuëss und Manfred Koller rückten den Neubau auf das hinterste südwestliche Eck des Grundstücks. Abgerückt von der Landstraße entsteht so vor dem neuen Gemeindehaus ein großzügiger Vorplatz.

Einen Steinwurf von Bregenz spannt sich Lochau zwischen dem Pfänder im Osten und dem Bodensee im Westen auf. Als eine Hauptverkehrsachse durchzieht die Landstraße den Ort, von der in Richtung See der Straßenzug „Am Dorfplatz“ abzweigt. Dieser ist genau genommen eine Wiese. Südlich vom Kreuzungspunkt aus Landstraße und „Am Dorfplatz“ stand das alte Gemeindeamt: Beim Wettbewerb 1937/38 siegte Architekt Hans Fessler, gebaut wurde es von Wilhelm Fleisch. Es war ein typisches Kind seiner Zeit. Mit Fensterläden und mächtigem, steilem Walmdach wirkte es heimattümelnd. Sein mittiges Eingangsportal lag direkt an der Straße, deren Niveau tiefer verläuft. Es war nur über eine veritable Treppenanlage zu erreichen.

Auch das Volumen des Neubaus reagiert passgenau auf sein Umfeld.
im Süden bildet der Vorplatz ein großes Plateau aus, von dem man wie auf einer Aussichtsterrasse auf den Bodensee blickt.

Das Gemeindeamt war haustechnisch veraltet, nicht barrierefrei, bot zu wenig Platz und bei Weitem nicht die wünschenswerte Offenheit eines modernen Amts. Allerdings waren auch Sparkasse und Polizei dort und hingen einige Lochauer schon rein aus Gewohnheit am Altbau. Die Gemeinde schrieb einen Architekturwettbewerb für ein neues Gemeinschaftshaus mit Gemeindeamt samt Serviceeinrichtungen, Polizeistützpunkt, Bank, Büros und Arztpraxen aus, bei dem es Teilnehmenden offen stand, den Altbau zu erhalten. Das Projekt der Architektengemeinschaft Helmut Kuëss und Manfred Koller siegte eindeutig. Sie legten ihr Augenmerk auf das städtebauliche Potenzial von Bauaufgabe und Lage. „Wir haben die ortsräumliche Situation im Vorfeld genau studiert“, so Helmut Kuëss. „Ein brennendes Thema ist, wie man wieder Dorfzentren bilden kann. Für uns bot das Gemeindeamt die Möglichkeit, den Ort um einen Schritt weiterzuentwickeln.“ Kuëss und Koller planten einen Neubau mit annähernd quadratischem Grundriss von 24 mal 27 Metern und rückten ihn auf das hinterste südwestliche Eck des Grundstücks. Diese Maßnahme ist höchst effektiv: Sie lässt vor dem Neubau einen Vorplatz entstehen, der an der Längsflanke zur Landstraße mit einer abgeschrägten Treppe bis zum äußersten nordöstlichen Eck das Niveau ausgleicht und dort direkt in den Straßenraum übergeht, andererseits im Süden ein großes Plateau ausbildet, von dem man wie auf einer Aussichtsterrasse auf den Bodensee blickt. Im südwestlichen Eck, wo die Höhendifferenz zwischen Platz und Straße am größten ist, integrierten die Architekten eine formschöne Bushaltestelle in den Platz, der nun optisch bis zu Kirche und Pfarrzentrum schräg gegenüber reicht.

„Ein brennendes Thema ist,
wie man wieder Dorfzentren bilden kann.
Für uns bot das Gemeindeamt die Möglichkeit,
den Ort um einen Schritt weiterzuentwickeln.“

Helmut Kuëss
Architekt

Offenes Haus: Gleich nach dem Eingang wird man an einem hellen, offenen Pult von hilfsbereiten Gemeindebediensteten in Empfang genommen.
Kunst am Bau: Die Seitenwand der zentralen Treppe wurde von Gerold Tagwerker gestaltet. Sie ist bis auf einen abstrahierten Schriftzug komplett verspiegelt.
Alle allgemeinen Bereiche sind im Erdgeschoß, Dienstleistungen wie die Ansuchen um Zuschüsse sind dezenterweise weiter hinten positioniert.

Auch das Volumen reagiert passgenau auf sein Umfeld: Im Süden, wo der kubische Block des Typico-Gebäudes anschließt, ist das Gemeindeamt vier Geschoße hoch, im Norden, wo sich Lochau eher dörflich zeigt, hat es nur zwei Stockwerke. Dem Platzraum im Osten hingegen, wo der kubische Pfarrsaal mit Weltladen und ein turmartiges Wohnhaus von Baumschlager Eberle sein Gegenüber bilden, zeigt es eine spannende Fassade, die auf einer Seite nieder, auf der anderen hoch ist und damit ihre gebaute Nachbarschaft reflektiert. Der neue Vorplatz schafft den Raum, um diese Bauten und die angrenzende Kirche in seine Wahrnehmung von Lochau wieder einzubinden. Bei der Eröffnung des Neubaus wurde er auch intensiv von beiden Seiten aus genutzt und wuchs endlich über die Barriere des Niveausprungs hinweg zusammen. „Unser weiteres Ziel ist eine Begegnungszone mit reduzierter Geschwindigkeit“, so Bürgermeister Michael Simma.

Ein Oberlicht erhellt die Treppe und auch die Galerie im ersten Stockwerk.

Nachdem Kuëss und Koller den Wettbewerb gewonnen hatten, initiierten Projektgegner eine Bürgerbefragung über die Erhaltung des Altbaus. Diese ging knapp zugunsten des Neubaus aus und spornte Architekten und Bauherrn umso mehr an, das Gemeindeamt mit umso mehr wertschätzender Sorgfalt umzusetzen. Das transparente Erdgeschoß teilt sich das Gemeindeamt mit einer Bank. Es nimmt damit eine alte Tradition auf, signalisiert Offenheit und trägt dazu bei, den Vorplatz im Alltag zu beleben. Der erste Stock wird von einer differenzierten Fassade aus einer raumhohen Sichtbetonstruktur mit fein perforierten Öffnungsflügeln aus Aluminium gebildet. Hier werken die 13 Mitarbeiter des Gemeindeamts, das Bürgermeisterbüro liegt am Eck: mit Blick auf den neuen Platz und die Kirche.

Die fehlenden Spiegelteile vom Stiegenaufgang finden sich im holzgetäfelten Saal, wo etwa fünf Mal im Jahr die Gemeindevertretung tagt.
Der Holzboden im ersten Stock vermittelt eine wohnliche Atmosphäre.

Der holzvertäfelte Saal mit den Porträts aller Vorgänger, in dem etwa fünf Mal im Jahr die Gemeindevertretung tagt, soll künftig auch für Konzerte und Lesungen öffentlich genutzt werden. Alle allgemeinen Bereiche sind im Erdgeschoß, wo eine große Treppe, die von einem Oberlicht erhellt wird, Sessel vom dänischen Designer Arne Jacobsen in den Wartebereichen, ein schönes Empfangspult, Terrazzo am Boden, Fensterrahmen aus weiß geölter Weißtanne und Glasschlitze vor den Zimmern der Beamten eine angenehme Atmosphäre verbreiten. Dienstleistungen wie Ansuchen um Zuschüsse sind dezenterweise hinten positioniert. Die Seitenwand, an der die zentrale Treppe hochführt, wurde vom Künstler Gerold Tagwer­ker gestaltet. Sie ist bis auf einen abstrahierten Schriftzug komplett verspiegelt und macht so die Menschen auf der Galerie sichtbar. Die fehlenden Spiegelteile finden sich im Sitzungssaal. Wer genau schaut, erkennt: Lochau.

Daten & Fakten

Objekt Gemeinschaft Lochau

Eigentümerin Gemeinde Lochau

Architektur Arbeitsgemeinschaft Architekten Helmut Kuëss und Manfred Koller, Bregenz, www.architektur-kuess.at

Statik Mader & Flatz ZT, Bregenz

Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär: Marte-Diem, Bregenz; Elektro: Hiebeler + Mathis, Hörbranz; Brandschutz: K&M, Lochau; Energie, Bauphysik: Spektrum, Dornbirn

Planung ab 4/2014

Grundstücksgröße 2413 m²

Nutzfläche 3027 m²

Bauweise Mischbauweise; Außen­wand in Leichtbau; Flachdach mit extensiver Begrünung

Besonderheiten Betonfertigteilfassade

Ausführung Baumeister: Arbeitsgemeinschaft Hilti & Jehle, Feldkirch und Nägele, Sulz; Holzbau Außenwand: Kaspar Greber, Bezau; Betonfertigteilfassade: Wilhelm + Mayer, Götzis; Dachabdichtung: Gün­ther, Röthis; Lüftung: Berchtold, Dorn­birn; Heizung, Sanitär: Boch, Hörbranz; Elektro/Gebäude­technik: Rist, Wolfurt; Landschaft: Gemeindegärtnerei Lochau

Energiekennwert 25 kWh/m² im Jahr

Baukosten ca. 6, 8 Mill.Euro