Dass auch unter den finanziell engen Vorgaben des sozialen Wohnbaus baukünstlerisch ambitionierte Architektur entstehen kann, führen die von mitiska.wäger architekten für die Firma Getzner in Bludenz geplanten Werkswohnungen beispielhaft vor.

Text: Edith Schlocker | Fotos: Cornelia Hefel

Hussein Kovacevic hat praktisch sein Leben lang bei der Firma Getzner gearbeitet, um nun in der Pension sozusagen das „Mädchen für so ziemlich alles“ in der neuen werkseigenen Wohnbebauung Klarenbrunn zu sein. Hier hat er mit seiner Frau Mina in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung sein Zuhause. Wie alle der 61 Einheiten in der Größe von 30 bis 85 Quadratmetern hat auch seine Wohnung einen kleinen Freiraum – einen Balkon, eine Loggia oder die im Erdgeschoß liegenden einen kleinen privaten Außenbereich. Ergänzt wird dieses Angebot durch großzügig angelegte Freibereiche zur gemeinschaftlichen Nutzung. Die Wohnanlage besteht aus insgesamt sechs Baukörpern mit drei bzw. vier Geschoßen, die in zwei Gruppen geschickt gegeneinander versetzt sind, so dass dazwischen viel Aufenthaltsqualität entsteht. Da gibt es Orte für die Kinder zum Spielen, genauso wie Plätzchen, an denen es sich fein Plaudern lässt. Die Wege sind fast urban angelegt und gepflastert, die Autos wurden in die unter der Wohnanlage liegende gemeinsame Tiefgarage verstaut.

In Zeiten, in denen es schwierig ist, qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu bekommen und sie längerfristig an die Firma zu binden, sind nicht zuletzt angesichts der hohen Mietkosten am freien Markt günstige Werkswohnungen so etwas wie ein Zaubermittel. Das wissen die Verantwortlichen der Firma Getzner allerdings schon seit ihren Anfängen in den 1870er-Jahren. In den gut 130 Jahren entstanden aus diesem Grund zuerst Mädchen- und Männerheime, dann Arbeiterhäuser, schließlich Mehr- und auch Einfamilienhäuser für die Mitarbeiter(innen) ganz in der Nähe des Firmenstandorts. Eine Tradition, die nach Jahrzehnten nun auch auf architektonisch erfreuliche Weise wiederbelebt wird. Das Architekturbüro mitisak.wäger aus Bludenz erbringt den Beweis, dass ambitionierte Baukunst auch unter den finanziell engen Bedingungen eines Wohnbaus stattfinden kann, der sich an den Standards des sozialen Wohnbaus orientiert.

„Die Auseinandersetzung mit leistbarem Wohnraum ist planerisch eine höchst interessante Aufgabe.“

Markus Mitiska
Architekt

Dass die Werkswohnungen fußläufig zum Arbeitsplatz liegen, ist nicht nur bequem und zeitsparend, sondern angesichts des wachsenden Klimabewusstseins aktueller denn je. Der Grund, auf dem die neue Wohnanlage steht, ist firmeneigen und liegt – als kleiner Wermutstropfen – unmittelbar neben der Bahn. Weshalb die zwei hier stehenden Baukörper so gebaut wurden, dass sie „fast schwimmen“, wie Architekt Markus Mitiska sagt. Die durch die Züge provozierten Erschütterungen werden laufend kontrolliert. Schallschutzfenster sorgen hausintern jedoch akustisch für Ruhe.

Gebaut sind die sechs kubisch markanten Baukörper aus Ziegeln bzw. Stahlbeton. Komplett gehüllt in Trapezblech aus Aluminium, das durch sein Schimmern die Volumina reizvoll zu marginalisieren scheint und effektvoll zu den schwarz umrahmten Fenstern kontrastiert. Die Fensteröffnungen sind das Ergebnis eines ausgeklügelten gestalterischen Spiels mit den unterschiedlichsten Formen, Größen und Setzungen. Manche wachsen kastenartig aus der Fassade. Elegant Schwarz sind auch die schlichten, teilweise offenen, teilweise geschlossenen Brüstungen der in die Kubaturen hineingeschnittenen Balkone bzw. die Umrahmung der Loggien und Eingangstüren. Durchgängige überdachte Erschließungshöfe binden sämtliche Geschoße von je drei Häusern inklusive jener unter der Erde zusammen, wo nicht nur die Autos geparkt werden, sondern auch jede Wohnung ein kleines Kellerabteil als Abstellfläche hat bzw. Wasch- und Trockenräume eingerichtet sind. Hier im Untergrund dominieren alles andere als zufällig die Farben Rot, Blau und Orange, jene der Firma Getzner.

In den öffentlichen Bereichen sind die Böden und Wohnungstüren schwarz, die Wände weiß, erhellt durch eine durchgehende zarte Lichtlinie. Formale Schnörkellosigkeit ist genauso wie Nachhaltigkeit für mitiska.wäger architekten ein großes Thema. Letzteres vor allem durch das Denken in Lebenszyklen. Dazu passt, dass mit per Tiefenbohrung generierter Erdwärme geheizt wird bzw. eine Solaranlage am Dach in Vorbereitung ist. Die Grundrisse der Wohnungen, deren Betriebskosten laut Hussein Kovacevic „sensationell niedrig sind“, sind kompakt und ausgelegt auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse. Da gibt es komplett möblierte Garconnieren für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nur für ein paar Monate mit an Bord sind, genauso wie familientaugliche Wohnungen für die Dauermieter.

Daten und Fakten

Objekt: Getzner Werkswohnungen – Klarenbrunn, Bludenz

Bauherr: Getzner, Mutter & Cie GmbH COKG

Architektur: Mitiska.Wäger Architekten ZT GmbH, www.mitiska-waeger.com

Statik: SSD Ingenieure ZT GmbH, www.ssd-zt.at/de/

Fachplanung: Bauleitung: gbd ZT GmbH, Dornbirn; Bauphysik: Schwarz, Frastanz; Elektroplanung: Brugger, Thüringen; Geologie, Hydrologie: 3P Geotechnik ZT GmbH, Bregenz; Schwingungsuntersuchung: Getzner Werkstoffe, Bürs

Planung: Planungsbeginn: 10/2019, Baubeginn: 11/2020, Fertigstellung: 11/2022

Grundstück: 4432 m²

Wohnnutzfläche: 3119 m², 61 Wohnungen

Ausführung: Baumeister: Tomaselli Gabriel, Nüziders, Fassade/Spengler: Rusch, Bregenz, Fenster: Stuchly, Thüringen, Sanitär: Solz, Bludenz, Heizung: Wagner, Nüziders, Elektro: Licht+Wärme, Raggal, Zimmermann: Sutter, Ludesch, Schlosser: Gruber, Raggal, Verputz: Keklik, Bürs, Gerüst: Ellensohn, Götzis, Schlosser: Gruber, Raggal, Maler: Liepert, Bludenz, Aufzüge: Kone, Rankweil, Gartenanlage: Lugger, Nüziders

Energiekennwert: 29,7 kWh/m² im Jahr