An der Ortsdurchfahrt der Gemeinde Jonschwil im Kanton St. Gallen steht
seit Jahrzehnten ein Holzschuppen an der Straßenecke. Die Parzelle ist winzig,
die Hütte wurde bereits mehrfach umgenutzt und gegen den Verfall gesichert.
Das Gebäude mit einer Grundfläche von sechs mal sechs Metern befindet sich
im Besitz der Familie des Architekten Lukas Lenherr, der es zu einem Wohnhaus
ausgebaut hat. Eine vierköpfige Familie lebt nun auf 99 Quadratmetern
mit ungewöhnlicher Raumaufteilung und tollen Durchblicken.

Text: Kerstin Forster | Fotos: Stefan Hauer

Verwittert, windschief und einsturzgefährdet war der mit Brettern verkleidete Schuppen, der ursprünglich als Holzlager für die Bäckerei einige Meter weiter diente. In den 1980er-Jahren verwendete man ihn dann als Unterstand für Autos – und damit die Hütte nicht einstürzte, wurden dafür an der Basis Wände sowie eine dürftig armierte Betondecke eingezogen. In diesem Zustand fand Lukas Lenherr das Gebäude vor und er wusste: Man muss irgendetwas damit machen. Da sich das Gebäude innerhalb der Ortsbildschutzzone befindet war klar, dass es weder abgerissen noch aufgestockt werden durfte, es musste seine Kubatur zu jeder Zeit – auch während der Bauarbeiten – behalten. Bei dem kleinen Einfamilienhaus mit vertikaler Lärchenfassade, als das sich die Hütte heute präsentiert, handelt es sich also genau genommen nicht um einen Umbau, sondern einen Ausbau.

Ein einziges Zugeständnis machte die Gemeinde bezüglich einer Abweichung vom ursprünglichen Volumen: Das Gebäude durfte auf der Außenseite gedämmt werden, seine Seitenlängen sind dadurch um etwa 40 Zentimeter angewachsen. Dasselbe galt aber nicht für das Dach, das seinen kleinen Überstand verlor und von der Unterseite isoliert wurde. Um das Gebäude retten und ausbauen zu können, mussten zunächst kleine, aber einschneidende Änderungen vorgenommen werden. Auf der Rückseite, wo sich heute der Hauseingang befindet, wurde eine Tür eingebaut und eine Treppe entfernt. An ihrer Stelle befindet sich nun ein kleiner Technik- bzw. Wäscheraum, daneben ein Durchgangsbad und dahinter das Schlafzimmer. Diese drei Räume wurden hinter einer Kalksteinwand, die aus statischen Gründen eingezogen werden musste, untergebracht. Als die Betondecke so weit gesichert war, konnte an anderer Stelle eine Öffnung für die Treppe hineingeschnitten werden. Sie führt vom ebenerdigen Küchen-/Essraum parallel zur Wand nach oben und lässt einen ins Wohnzimmer und darüber hinaus blicken. Das Treppenauge ist dabei größer ausgefallen, hat die Form der Hausansicht und ist mit einem geknüpften Absturznetz gesichert. So verbinden sich die beiden übereinander liegenden Räume zu einer offenen Wohnzone, in der die Kinder und Katzen auch noch eine ungewöhnliche Hängematte zu nutzen wissen.

„Einfach zu bauen und Materialien wiederzuverwenden,
ist viel schwieriger als neu zu bauen, aber es gibt ein besseres Ambiente
und die Menschen verstehen sofort, was die Idee ist.“

Lukas Lenherr
Architekt

Ab nun wurde mit dem Bestand weitergebaut. Das originale Fachwerk wurde repariert und gereinigt, ebenso die Bretter, die ursprünglich die Außenwand waren. Die außenliegende, zwanzig Zentimeter starke Dämmung macht diese charmante, wohnliche Innenansicht möglich. Außer dem kurzen Flur zwischen Eingang und Küche und den Treppen gibt es keine eigentlichen Verkehrsflächen, es ist ein einziges Raumkontinuum, das um eine zusätzliche Fläche im Dachgeschoß erweitert wurde. Das Wohnzimmer ist klein und nicht einfach zu möblieren, da sind sich der Architekt und die Familie, die das Haus gemietet hat, einig. Umso überraschter ist man von den großzügigen Kinderzimmern. Eines befindet sich wie das zweite Bad auf der oberen Wohnebene, dazwischen führt eine Treppe in die eingebaute Galerie, von der aus das zweite Kinderzimmer abgeht. Es ist um 90 Grad gedreht und besitzt außer Dachfenstern auch noch eine große Scheibe hinunter zum Wohnraum.

Die vierköpfige Familie bewohnt das 99 Quadratmeter kleine Haus seit vier Jahren und hat neuerdings auch noch zwei Katzen, alle fühlen sich rundum wohl. Mit der Offenheit der Räume haben sie umzugehen gelernt, Rücksicht mussten sie auch in ihrer ehemaligen 5,5-Zimmerwohnung mit dem Wohn-Ess-Bereich auf einer Ebene nehmen. Die Durchbrüche und die zueinander versetzten, gestapelten Räume lassen das Haus sehr großzügig wirken, das Wohngefühl profitiert immer auch von der Deckenhöhe oder dem Ausblick nach draußen, nach unten oder hinüber. Wohnlich machen das Gebäude auch die sichtbare Konstruktion und die einfachen, unvergüteten Materialien. Was vorhanden war, wurde wiederverwendet oder wo notwendig ergänzt, etwa durch eine eingezogene sogenannte Appenzellerdecke über Kinderzimmer und Bad, um die Galerie zu schaffen. Die Idee, den Schuppen als Bauteillager zu verstehen, hatte Lukas Lenherr schon früh, zu den ökonomischen Überlegungen kamen ökologische hinzu, die das Haus so fast zufällig zu einem Vorreiter des klimafreundlichen, rückbau- und rezyklierbaren Bauens machen.

Daten und Fakten

Objekt Kleines Haus, Jonschwil
Architektur Lukas Lenherr Architektur, Quinten/Zürich, www.lukaslenherr.ch
Statik Besmer, Sattel(CH), www.holzmitschwung.ch
Fachplanung Heizung/Sanitär: Paul Eisenring, Jonschwil; Elektro: Dobler, Oberuzwil
Planung 04/2017–05/2018
Ausführung 06/2018–05/2019
Grundstück 146 m²
Nutzfläche 99 m²
Bauweise Betonfundament: Außenwände Holzziegel (Bestand); Fassade: Lärche hinterlüftet; Böden Erd- und Ober­geschoß Beton, Dachgeschoß Brett-schichtboden; Fenster Kiefer; Küche/Treppen Birkensperrholzplatten
Besonderheiten Wiederverwendung fast aller Baumaterialien des Bestands
Ausführung Baumeister: Spezialbau Huber, Oberu­zwil; Holzbau: A. Huser, Kirchberg; Fenster: Keller, Bazenheid; Heizung, Lüftung, Sanitär: Paul Eisenring, Jonschwil; Trep­pen: Langegg, Will; Küche: Anderegg, Schwarzenbach; u. a.
Energiekennwert 3,9 kWh/m² im Jahr (HWB SIA 380/1)
Baukosten 438 000,– Franken