Mit „Ernas Haus“ ist das aus dem Winderhof und dem Beerenstadel
bestehende Ensemble im Dornbirner Oberdorf komplett. Was die drei so
unterschiedlichen Baukörper verbindet, ist der geknickte Giebel ihrer Dächer.

Text: Edith Schlocker | Fotos: Elmar Ludescher, Darko Todorovic

Vier Kühe standen im Stall, als die Brüder Martin und Peter Winder vor vielen Jahren den elterlichen Bauernhof im Dornbirner Oberdorf übernommen haben. Ein typisches geschindeltes Bauernhaus mit breitem Vordach, das sich in den rund 130 Jahren, seit es hier steht, kaum verändert hat. Im Gegensatz zu der Art des Wirtschaftens der beiden Brüder, die die Zukunft ihres Hofs komplett neu ausgerichtet haben. Um als „Beeren Winder“ in wenigen Jahren zu einem Begriff zu werden mit Produkten rund um „Beeriges“ diverser Art. Um dieses verarbeiten, lagern, konservieren und vermarkten zu können, ließen sie sich von Ludescher + Lutz Architekten einen Laden in das Bestandshaus einbauen und 2015 neben dieses einen „Beerenstadel“ stellen.

Um offensichtlich Lust auf Bauen zu bekommen. Denn, als sich die Gelegenheit bot, das gegenüber auf der anderen Straßenseite stehende Bauernhaus zu kaufen, schlugen Martin und Peter Winder zu, bereits mit der Idee im Hinterkopf, dieses von „ihren Architekten“ in ein leistbares Heim für Studentinnen und Studenten der nahen Fachhochschule verwandeln zu lassen. Deren Gastgeber sie sein möchten inklusive des Angebots eines Stücks Familienanschluss.

Dass trotz der Heterogenität der drei Baukörper diese als Ensemble empfunden werden, war das ehrgeizige Ziel, sagt Elmar Ludescher. Indem das dominierende Schleppdach des alten Winderhofs beim Stadel genauso wie in „Ernas Haus“ – benannt nach der ehemaligen Besitzerin – als Identität stiftendes Stilelement auftaucht. Die Metamorphose, die das letztere durchlaufen hat, ist allerdings gewaltig, obwohl die vordere Giebelfront genauso wie die basalen Strukturen des im ehemaligen Wohnteil gemauerten, im Wirtschaftstrakt aus Holz gebauten Bauernhofs im Prinzip erhalten geblieben sind, wenn auch transformiert in einen extravaganten unregelmäßigen geometrischen Körper.

„Wir haben mit ‚Ernas Haus‘ eine
Riesengaudi und die Studenten auch.“

Peter Winder
Bauherr

Was der neuen Hülle aus Weißtanne geschuldet ist, die aus dem eigenen Wald kommt. Wollen die Winder-Brüder doch über Nachhaltigkeit nicht nur reden, sondern sie auch leben. Weshalb auch mit aus Holz generierter Fernwärme geheizt wird, der Strom, der u. a. für warmes Wasser sorgt, über die Photovoltaikanlage auf der der Straße abgewandten Südseite des mächtigen Dachs erzeugt wird.

Den Abbruch des ehemaligen Wirtschaftstrakts bzw. Rückbau des Wohntrakts haben Martin und Peter Winder in drei langen Wintern zum größten Teil selbst geschultert. Das Mauerwerk der nun praktisch vordachlosen Westfassade wurde außen gedämmt, bevor sie vertikal verlattet wurde, wobei jede der drei Geschoße fünf Zentimeter über die darunterliegende auskragt, was sie reizvoll plastisch strukturiert. Und den acht, durch schlichte hölzerne Schiebeelemente verschließbaren Fenstern tiefe Laibungen beschert, was ganz nebenbei hervorragend als natürlicher Sonnenschutz taugt. Getischlert wurde die hölzerne Hülle zum größten Teil von Martin Winder, nicht zuletzt, um damit sich und anderen zu beweisen, dass der nunmehrige Obstbauer sein ehemaliges Handwerk nicht verlernt hat.

Die neuen Teile von „Ernas Haus“ sind komplett aus Kreuzlagenholz gebaut und straßenseitig zu einem offenen Foyer hin fast total verglast, über das das Dach mit seinem reizvoll gebrochenen Giebel weit ausschwingt. Die Richtung Süden eingerichteten Loggien werden durch einen zarten Lattenvorhang vor zu viel Sonne geschützt. Zwischen den gemauerten alten Teilen und dem hölzernen Neubau ist ein vom Keller bis zum Dach offenes Stiegenhaus geschoben.

Ein fröhliches internationales Völkchen hat in den auf drei Ebenen eingerichteten insgesamt 18 Einheiten, in denen die Farbe Grün eine zentrale Rolle spielt, auf Zeit Unterschlupf gefunden. Auf knapp 20 Quadratmetern finden sich Schreibtisch, Bett und Schrank genauso wie eine kleine Küche und ein Bad. Straßenseitig erschlossen durch Gänge, die zu Gemeinschaftsräumen werden. Wobei das Flair in jeder Etage komplett anders ist, abhängig von den Blicken auf die dem Haus vorgelagerte Terrasse, auf das weit auskragende Dach oder vom Dachgeschoß aus in den Himmel, bei klarer Sicht bis zum Bodensee.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Ernas Haus | Studentenheim am Winderhof

Bauherr Martin + Peter Winder

Architekten Ludescher + Lutz Architekten, Bregenz, www.ludescherlutz.at

Statik gbd, Dornbirn, www.gbd.group

Fachplanung Bauphysik: Bernhard Weithas,, Lauterach

Planung 2017–2020

Fertigstellung 09/2020

Grundstücksgröße 734 m²

Nutzfläche 260 m² (zzgl. Keller 146 m²)

Bauweise Holzmassivbau aus Brettsperrholz mit außenliegender Dämmung; Fassaden Weißtanne; Brettsperrholz-Holzdecken; Kaltdach mit Ziegeln; Keller Stahlbeton; Heizung Fernwärme; Innenwände Brettsperrholz mit Gipskarton

Besonderheit Möblierung Eigenleistung nach Plänen der Architekten; Holz aus eigenem Wald; Fernwärme, Solar und Photovoltaik

Ausführung Baumeister: Keckeis, Lustenau; Zimmerer: Kaufmann, Reuthe; Fenster: Jäger Bau, Schruns; Installationen: Hepp, Dornbirn; Trockenbau: Werner Brugger, Dornbirn; Innenausbau und Möbel: Martin Winder

Kosten 1,2 Mill. Euro