Vom Wert des Bestandes
Schwarzenberg ist ein Ort, der stark mit seiner Baukultur verbunden ist. Mit Haus 471 wurde ein historisches Gebäude im Zentrum des Ortes saniert und wird nun neu genutzt. Das Projekt zeigt, wie der Umgang mit Bestand, handwerkliche Präzision und zeitgemäßes Wohnen das Ortsbild weitertragen.
Text Verena Jakoubek-Konrad · Fotos Dominic Kummerer

Schwarzenberg im Bregenzerwald ist kein museales Dorf, sondern ein lebendiger Ort. Seine bauliche Struktur ist über Generationen gewachsen: aus Höfen, Wohnhäusern, Gasthöfen, Werkstätten und aus Wegen, die nicht geplant wurden, sondern sich entwickelt haben. Das Ortsbild lebt von dieser Selbstverständlichkeit – von Häusern, die sich aneinander orientieren, von Materialien, die altern dürfen, von einer Architektur, die aus Nutzung und Erfahrung entsteht. In dieses Gefüge fügt sich Haus 471 ein. Das Gebäude steht exemplarisch für eine Baukultur, die Bestand nicht als Hindernis, sondern als Ressource begreift. Anstatt das Haus zu ersetzen, wurde es erhalten, saniert und weitergebaut.


Heute dient es als Ferienhaus – bewohnt von einer Familie, die seit Jahrzehnten in Schwarzenberg zu Gast ist. Der Schritt vom Gast zum Eigentümer war auch ein Bekenntnis zu diesem Ort und zu seiner Art des Bauens. Die gestalterische Verantwortung für den Umbau und die Sanierung lag bei Jürgen Haller, dessen Arbeiten durch eine präzise Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen geprägt sind. Seine Herangehensweise vermeidet formale Setzungen zugunsten eines genauen Lesens des Bestands. Eingriffe entstehen nicht aus dem Wunsch nach Veränderung, sondern aus dem Verständnis für Proportion, Material und Gebrauch. Architektur wird hier als Weiterführung verstanden – nicht als Überformung. Das Haus folgt der typischen Konstruktion der Region: Ein massiver, gemauerter Sockel trägt den darüberliegenden Holzblockbau. Diese Bauweise prägt nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch das Raumgefühl. Das Gebäude wirkt verankert und zugleich leicht.
„Das Projekt verdeutlicht, dass gute Architektur im Bestand aus dem genauen Hinschauen entsteht – aus Respekt vor dem Ort,
dem Material und dem handwerklichen Wissen, das ihn geprägt hat.“
Jürgen Haller
Baumeister

Die dem historischen Bestand entstammende Giebelfassade mit der besonderen Galgenkonstruktion des Balkons, die klar gegliederten Öffnungen und die abgeschrägten Seiten lassen das Haus als Teil des Straßenraums lesbar bleiben – ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Die Schindelfassade ist dabei mehr als Hülle. Sie ist Ausdruck einer Haltung gegenüber Zeit und Material. Holz darf altern, es verändert seine Farbe, reagiert auf Wetter und Jahreszeiten. So wird das Haus nicht fertig, sondern bleibt im Werden – eine Qualität, die im Ortsbild von Schwarzenberg selbstverständlich ist. Im Inneren setzt sich diese Haltung fort. Historische Elemente wie Parkettböden, Wand- und Deckentäfelungen sowie originale Beschläge wurden sorgfältig erhalten, wo immer das möglich war. Sie bilden keinen nostalgischen Hintergrund, sondern eine stille und gefestigte Grundlage für eine zeitgemäße Nutzung.

Die handwerkliche Umsetzung lag in den Händen von Wolfgang Schmidinger und zahlreichen Betrieben des Ortes und des Bregenzerwaldes. Ihre Arbeit ist gekennzeichnet von Präzision und Materialkenntnis. Die handwerklichen Eingriffe bleiben bewusst respektvoll und zurückhaltend und machen gerade dadurch die Qualität des Bestehenden sichtbar. Eine besondere Qualität des Projekts liegt in seiner umsichtigen Umsetzung. Die Projektleitung übernahm der im Dorf verwurzelte, baukundige Handwerker Hubert Schneider – ein Freund der Eigentümer. Diese Nähe zum Ort und zum Haus ermöglichte einen Prozess, der nicht von Effizienz allein geprägt war, sondern von Aufmerksamkeit und Vertrauen.


Bewusst wurden ausschließlich Handwerksbetriebe aus dem Bregenzerwald eingebunden. Zimmerleute, Tischler und weitere Gewerke arbeiteten mit jenem Wissen, das die Baukultur der Region seit Jahrhunderten prägt. Die Entscheidung für regionale Betriebe war den Eigentümern ein zentrales Anliegen – nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern als Beitrag zur lokalen Wertschöpfung und zur Weitergabe handwerklicher Kompetenz, vor allem aus Wertschätzung gegenüber dieser kulturellen Leistung, die viele Menschen in den Bregenzerwald zieht. Haus 471 steht damit für eine Form des Weiterbauens, die leise ist und gerade dadurch wirksam. Es zeigt, dass Bestand nicht bewahrt wird, um stehen zu bleiben, sondern um sich weiterzuentwickeln. Im Ortsbild von Schwarzenberg wird der Umbau so Teil einer fortlaufenden Erzählung – einer Baukultur, die aus dem Bestehenden heraus Zukunft formt.
Eine Baukulturgeschichte von VAI.
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at
Haus 471, Schwarzenberg
Bauherrschaft: privat
Planung: Baumeister Jürgen Haller, Mellau
Projektleitung: Hubert Schneider, Schwarzenberg
Fachplanung: HSL-Planung: Steurer Energietechnik, Schwarzenberg; Elektroplanung: Hubert Schneider, Schwarzenberg
Ausführung: Baumeisterarbeiten: Wälderbau Schwarzenberg; Holzbau: Meusburger, Schwarzenberg; Tischlerarbeiten: Schmidinger Möbelbau, Schwarzenberg; Dachdecker: Peter Herbert, Schwarzenberg u. v. m.
