Das alte Haus war Wand an Wand mit seinem Nachbarn frei auf seinem Platz am Finsternau Bach gestanden. Ein Brand ließ nichts davon über. Der Ersatzneubau von MWArchitekten durfte mehr Volumen haben und etwas höher werden. So fand unter dem sehr unorthodoxen Dach des schmalen Holzhauses auch das Chefinnenbüro der Steuerkanzlei Raum, die hier im ersten und zweiten Stock heimisch geworden ist. Zu ebener Erdewird gewohnt. Ein neues Stadthaus mit gemischter Nutzung. Wie schön!

Text: Isabella Marboe | Fotos: Adolf Bereuter

Der Ruhm von Hohenems reicht längst weit über die Grenzen Vorarlbergs hinaus. Die erfolgreiche Revitalisierung der Altstadt, die sich über mehr als zehn Jahre erstreckte, wurde mit dem renommierten Bauherrenpreis 2023 ausgezeichnet. Projektentwickler Markus Schadenbauer glaubte fest an das Potenzial des geschichtsträchtigen Ortskerns, hartnäckig verfolgte er dessen Wiederbelebung, Bevölkerung und Politik zogen über weite Strecken mit.

Der Ursprung von Hohenems liegt südlich vom Schlossplatz am Fuß der Burgruine zwischen Ems- und Finsternau Bach. Erster fließt als natürliche Zäsur durch den ganzen Ort. Dort, wo der Finsternau Bach einmündet, bildet sich eine kleine Landzunge. Etwas weiter südwärts führt ein schmaler Fußgängersteg über den Bach. Hier findet man sich nun vor einer frischen, hellen Fichtenfassade wieder, die sich deutlich vom gründerzeitlichen Nachbarn mit dem Kreuzgratgiebel abhebt. Die Geschichte des neuen Hauses, das so keck vor die Bauflucht des eigenen Erschließungsturmes und des Nachbarhauses springt, begann mit einem Brand im Jahr 2020. Das Feuer zerstörte den Vorgängerbau, den der Großvater des Bauherrn vor dem Krieg gebaut hatte, komplett. Beide Häuser teilten sich eine gemeinsame Kellermauer aus Naturstein und bildeten in gekuppelter Bauweise ein miteinander verwachsenes Paar, das frei auf dem Vorplatz des Steges stand.

„Glücklicherweise gestand uns die Stadt mehr Volumen zu,
und auch der Nachbar willigte ein. Sonst hätte man hier
keine Wohn- und Büroeinheit errichten können.“

Lukas Mähr
Architekt

„Es war absolut Substandard. Wenn ich auf Zehenspitzen stand, konnte ich an die Decke reichen“, erinnert sich Bauherr Klaus Peter an den Bestand. Seine Frau Miriam Peter führt die Kanzlei „Die Steuerberaterin“. Sie suchte gerade ein neues Büro, die beiden wollten ein gemischt genutztes Haus zum Wohnen und Arbeiten errichten, der Ersatzneubau aber gab zu wenig Fläche und Bauhöhe dafür her. „Glücklicherweise gestand uns die Stadt mehr Volumen zu, auch der Nachbar willigte ein“, sagt Architekt Lukas Mähr. Ein höheres Gebäude ist in dieser exponierten Lage sowohl städtebaulich als auch in puncto Nachverdichtung ein Gewinn.

Die symbiotische Verbindung der beiden Häuser machte die Baustelle sehr kompliziert. „Die größte Herausforderung war die Baugrube. Das alte Haus hatte einen Natursteinkeller. Wir wussten nie, ob die nachbarliche Außenwand standhält.“ Der Statiker war gefragt, man musste die Betonmauer des Stiegenhauses vorsichtig Meter für Meter hochziehen und die Baugrube mit Betonsteinen auffüllen, um ein Gegengewicht zur Wand zu bilden.

Die Strenge der rigoros übereinandersitzenden Fenster und Loggia an der uferseitigen Westfassade täuscht: Einmal ums Eck gebogen, zeigt sich stirnseitig eine sehr schräge, ungewöhnliche Dachform. Sie hebt so flach geneigt an wie ihre Vorgängerin war, nutzt dann aber mit 60° die höchste Steigung aus, die die Bauordnung hergibt. Das ermöglicht dem Haus sein drittes Geschoß unter dem Dach, wo die Chefin nun ihr Büro hat. Gewohnt wird zu ebener Erde, eine kompakte, zweiläufige Treppe führt zur Steuerkanzlei im ersten Stock. Je zwei Mitarbeitende sitzen hier überm Fluss, je zwei sehr introvertiert an der Rückwand. Nicole Vögel schätzt die dortige Stille. „Das Arbeitsklima ist sehr gut. Das liegt auch am Raum. Wir haben echte Holzfenster, es ist ruhig und richtig wohnlich.“ Das liegt sicher auch am Lehmputz, der hier verwendet wurde. In der Mitte gibt es einen schönen, nach Westen orientierten Gemeinschaftsraum.

Eine einläufige Treppe führt die graue Wand des Stiegenhauses entlang durch einem großzügigen Luftraum zum Chefinnenbüro. „In einem kleinen Raum fühle ich mich rasch eingesperrt“, sagt sie. „Man verbringt viel Zeit am Arbeitsplatz.“ Ihr Büro ist komplett aus Holz – Fichte natur an Wand und Decke, Esche am Boden – und optimal raumeffizient durchgeplant. Rückwärtig kommt eine Schrankwand im niederen Bereich der Dachschräge unter, die bis zum First auf fünf Meter Raumhöhe ansteigt. Durch die Glasfassade im Süden sieht man hinaus auf die Loggia und erahnt den Ruinenberg. Dieses Gefühl großzügiger Weite wirkt sich auch auf die Menschen aus, die Miriam Peter berät. „Der Raum schafft sofort eine Atmosphäre des Vertrauens“, sagt sie. „Hier werden oft sensible Themen besprochen, da ist das Vertrauen besonders wichtig.“

Daten und Fakten

Objekt: Generationenhaus in Hohenems
Bauherr: Privat
Architektur und Design: MWArchitekten, www.mwarchitetken.at
Statik: Martin Fetz, Hohenems
Fachplanung: Bauphysik: Hafner Weithas, Lauterach
Planung: Mai/2021– Dezember/2022
Ausführung: Jänner/2022 – Dezember/2023
Grundstück: 346 m²
Wohnnutzfläche: 180 m²
Keller: 80 m²
Bauweise: Außenwände: Holzrahmenbauweise mit Zellulosedämmung; Innenwände: Holzrahmenbauweise; Decken: Massivholdecken; Dach: Balken; Dacheindeckung: Glattziegel; Keller und Treppe: Stahlbeton
Besonderheiten: kompletter Ausbau mit Lehmbauplatten und Lehmputz
Energiekennwert: 34,3 kWh/(m2a) HWB; 0,83 (A) fGEE