Im Wohnprojekt „Kuku23“ setzten die Architekten Dietrich Untertrifaller und der gemeinnützige Bauträger Heimbau erstmals auf die Kombination Kunst, Kultur und Wohnen. Das dortige Atelierhaus hat eine zweigeschoßige Sockelzone, im Konzertsaal fühlt sich der Kasperl ebenso wohl wie der avantgardistische Impuls-Tanz Wien. Außerdem gibt es eine Ausstellungshalle, Werkstätten und ein Tanzstudio. Die offene Stützenstruktur in den neun Wohnebenen darüber schafft Raum für viele Wohnformen.

Text: Isabella Marboe · Fotos: Kurt Hoerbst

Liesing ist ein Bezirk im Süden Wiens, Atzgersdorf ein Teil davon. Rund 60 Prozent der Wiener Bevölkerung leben im sozialen oder geförderten Wohnbau. Liesing ist geprägt davon: Hier bilden Harry Glücks ikonische Wohntürme von Alt Erlaa einen Orientierungspunkt und reihen sich Zeilenbebauung der Nachkriegszeit, Großformen der 1970er und Wohnanlagen von Postmoderne bis Gegenwart aneinander. Atzgersdorf boomt: Kürzlich eröffnete dort ein Bildungscampus für 1100 Kinder von Baumschlager Eberle in einem ganz neuen Quartier. 2019 hatte der Wohn:Fonds Wien einen Wettbewerb für 430 Wohnungen ausgeschrieben, die Architekten Schenker Salvi Weber und Dietrich Untertrifaller (DTFLR) gewannen. Ausschlaggebend dafür war, dass sie auf die Kombination Wohnen und Kultur setzten, den Freiraum gestaltete rajek barosch landschaftsarchitektur und federte so die hohe Dichte ab.

„Wir haben das Erdgeschoß von Mietergärten freigeräumt, um für Kunst, Kultur, gemeinschaftliche Nutzungen und Sonderwohnformen wie der Jugend-WG der Wiener MA 11 den roten Teppich auszurollen“, sagt Maria Megina, Projektverantwortliche und Partnerin von DTFLR. „Die besten Plätze am Dach gaben wir der Gemeinschaft.“ Auf der Dachterrasse gedeihen Feigenbäume, Gemeinschaftsbeete, gibt es einen tollen Blick über Alt Erlaa im Vorder-, sowie Wien im Hintergrund und unter der Pergola eine Plattform zum Lungern, Lesen, Sonnen. Der helle Gemeinschaftsraum mit der Küchenzeile ist für Feste beliebt, beim Besuch bereiteten junge muslimische Frauen aufgeregt eine Geburtstagsparty vor. Lukas hat dort eine Wohnung am Eck. Besonders schätzt er die doppelflügeligen Fenstertüren: Wenn er sie öffnet, hat er das Gefühl, über Wien zu schweben – und ist sofort auf der Terrasse. Der Freiraum zu ebener Erde punktet mit einem großen Angebot an Gemeinschaftsflächen und Spielplätzen für jedes Alter.

„Wir haben das Erdgeschoß von Mietergärten freigeräumt, um für Kunst, Kultur, gemeinschaftliche Nutzungen und Sonderwohnformen wie der Jugend-WG der Wiener MA 11 den roten Teppich auszurollen.“

Maria Megina
Architektin

Das Gelände ist als Hügellandschaft gestaltet, die zweigeschoßige Sockelzone der Kunst und dem Gewerbe vorbehalten. Die Gebäude sind diszipliniert gerastert, die Fassaden in einer Abfolge aus raumhohem Glas und 90 cm breiten, mit Eternit gestalteten Pfeilern ruhig gestaltet. Man kann die Häuser umschreiten und hineinschauen. Yoga, Pilates, Kosmetik siedelten sich an. Das bricht die Baumasse auf ein menschliches Maß hinunter. Lage und Kubatur waren vom Bebauungsplan vorgeschrieben, die Baukörper sind zwischen 16 und 24 Meter tief,  ihre Höhe variiert von 18 bis 35 Meter. Der höchste Bauteil hat neun Geschoße und heißt bezeichnenderweise Turm, sein Mittelgang ist über zwei Meter breit und bildet im Erdgeschoß ein Foyer aus, die meisten Wohnungen sind nach Osten oder Westen orientiert, die Balkone mit den freundlichen roten Geländern schwingen vor und zurück: So finden auch Tisch und Sessel Platz.

Um Licht in den Gebäudekern zu bringen, zweigen vom Mittelgang der längeren Bauteile nach jeweils zwei oder drei Wohnungen entweder Stiegenhäuser mit Fenstern oder breite, zweigeschoßige Räume ab, die über ihre ganze Höhe verglast sind. Ein Tänzer nutzte einen schon zum Üben. Diese „Fugenräume“, wie Megina sie nennt, rhythmisieren auch Haus und Flur. „Wir haben aus fünf Blöcken gleichermaßen 21 Häuser herausgeschält.“ Sozialer Wohnbau in Wien darf maximal 1685 Euro/m2 kosten, muss nachhaltig und architektonisch wertvoll sein. Die wahre Herausforderung aber liegt darin, mehr als Wohnen in den Sockelzonen anzusiedeln. „Wir wollten ein Stück Stadt bauen und der Dichte ein menschliches Antlitz geben“, sagt Megina. Hier gibt es 50 verschiedene Wohntypen, von Beginn an arbeiteten Bauherr, Ortsansässige, Partner von Bausoziologie, Architektur und Programmatik engmaschig zusammen. Das war wesentlich für das Gelingen des Projekts.

Der Bauplatz grenzt an eine frühere Sargfabrik, die der Kulturverein F 23 erfolgreich bespielte. Als Pendant entwickelte DTFLR gegenüber sein Atelierhaus. Dort beträgt die lichte Raumhöhe 2,80 Meter. Das Erdgeschoß ist abgesenkt und zweigeschoßig, also 5,60 Meter hoch. Im dortigen Veranstaltungssaal waren bereits der Kasperl, Hochkultur und Avantgarde zu Gast. Außerdem gibt es eine Ausstellungsfläche und ein Studio. Das Gebäudeende kragt weit aus und wird von einer imposanten V-Stütze gehalten. Von dort sieht man hinein, neugierige Kinder hinterließen ihre Fingertapser an den Scheiben. Auch Ateliers mit Arbeitsplattform und Küchenzeile gibt es da. Am Eck richtete eine Bewohnerin ein Café ein. Menschen aus ganz Liesing holen sich ihre Kuchen. Am Tag vor dem Songcontest wettete eine Freundesrunde im Café um ein Sektfrühstück für alle, falls Österreich gewinnt. Sie reservierten nicht umsonst.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Kuku 23 in Wien, Kunst- und Kulturquartier, Wien Liesing

Eigentümer/Bauherr: Heimbau Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft
Architektur: Dietrich Untertrifaller Architekten, www.dtflr.com
Statik: ghp gmeiner haferl & partner
Planung: Wettbewerb 2019, 1. Preis
Ausführung: 2021–2023
Nutzfläche gesamt: 20.315,79 m²; davon Wnfl.: 17.308,91 m²; Gewerbefläche: 3006,88 m²
Energiekennwert: 22,6 kWh/m²a
Baukosten [(1-4)]: 1685 Euro/m² NF
Haustechnik: teamgmi
Bauphysik: Kern + Ingenieure, Wien
Landschaftsarchitektur: rajek barosch landschaftsarchitektur