Innerstädtische Verdichtung braucht politischen Willen.
Aber nur mit viel Fantasie und Kommunikation gelingt
sie auch in scheinbar festgefahrenen Situationen.
Die Wohnanlage in der Zollgasse in Dornbirn ist ein gutes Beispiel.

Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Stefan Hauer

Über 2600 Quadratmeter Grün, nur sieben Minuten zu Fuß vom Marktplatz in Dornbirn entfernt. Wie kommt es, dass hier, zwischen alten Villen und jüngeren Wohn- und Gewerbebauten, so lange nichts gebaut wurde? Die Obstbaumwiese der Großtante wurde in Ehren gehalten, und erst in der übernächsten Generation stellte man sich die Frage: „Was machen wir damit?“ Bebauen schien zu aufwendig. Einfach verkaufen kam nicht in Frage. Immer weiter so?

Dann wendeten Baumschlager Hutter Partners sich an die Wiesenbesitzer. Beim Spazierengehen hatten sie das Grundstück gesehen und es hatte ihr Interesse geweckt. Sie skizzierten Bebauungsmöglichkeiten, kamen ins Gespräch und fanden eine gute Lösung. Das dreimal so lange wie breite Grundstück wurde geteilt und mit dem Erlös aus dem verkauften Anteil wurde eines von zwei Wohngebäuden finanziert. Es steht an der schmalen Straßenfront und ist mit zwanzig Wohnungen der größere Baukörper. Zwei Erdgeschoßwohnungen sind, jederzeit reversibel, zu einem Büro mit separatem Eingang zusammengefasst. Im hinteren Bereich des Grundstücks steht der kleinere Baukörper mit fünfzehn Wohnungen, finanziert vom Projektentwickler raumvier. An der langen Nordseite führt ein Weg an überdachten Fahrradständern vorbei zu den beiden Eingängen, Hecken schirmen die Wohnungen im Erdgeschoß ab.

„Architektur und Wertigkeit
stehen immer über
Gewinnmaximierung.“

Thomas Moosbrugger
Architekt und Bauträger

Beide Gebäude sind durch eine gemeinsame Tiefgarage verbunden, gehören aber auch optisch zusammen. Regelmäßige Lochfassaden mit bodentiefen Fensteröffnungen, Loggien an den Ecken und Terrassen im Dachgeschoß sprechen die gleiche Sprache, Vor- und Rücksprünge an den Seiten unterscheiden die zwei Baukörper der Wohnanlage wohltuend von den schlichten, lang gestreckten Gewerbebauten und dem kaum gegliederten Gebäude der Pensionsversicherungsanstalt schräg gegenüber.
Dabei wurden alle Möglichkeiten des Grundstücks ausgeschöpft. In Volumenstudien wurde ausgelotet, wie das Projekt in die Umgebung passt, immer wieder wurden Details optimiert. Auch die Lücke zwischen den beiden Baukörpern wurde überlegt gesetzt. Sie räumt der einen älteren Villa im Süden, die dichter an der Grundstücksgrenze steht, als die anderen Wohngebäude ringsum, einen besseren Blick ins Grüne ein.

Die Wohnungen im gartenseitigen Wohnbau sind alle verkauft, fast alle nutzen die jeweiligen Eigentümer selbst. Die ersten drei oberirdischen Geschoße sind identisch auf vier Wohnungen aufgeteilt. Zu dreien von ihnen gehört ein nach Süden ausgerichteter Freiraum, der der vierten Wohnung geht nach Westen, mit Blick auf die Grünfläche zwischen den beiden Baukörpern. Im Dachgeschoß gibt es nur drei Wohnungen, dafür haben sie große Terrassen und teilweise auch noch Loggien. Und jeder, mit dem ich spreche, ist davon überzeugt, dass seine Wohnung die schönste ist.

50 Zentimeter ungedämmtes Hohlziegelmauerwerk, verputzt und mit Mineralfarbe beschichtet, lassen die Häuser atmen. Materialien begegnen einem an unvermuteter Stelle ein zweites Mal: Die Treppengeländer sind aus Stahl geschweißt, die als Möbel gestalteten Trennwände zwischen den Terrassen auch — in derselben Stärke, mit derselben Oberfläche, aber im Tageslicht erscheinen sie anders. Auch der brasilianische Buntschiefer, der im Treppenhaus in schönem Kontrast zur weißen Wand verlegt ist, kehrt mit anderem Effekt als Belag auf dem Boden und den Wänden der Bäder wieder.

Außenjalousien machen den Einsatz von Klimaanlagen überflüssig, und obwohl die Gebäude auf Piloten stehen, wird mit Fernwärme geheizt. Auch das mit der Fernwärme ist wieder eine Geschichte vom Nachfragen und Miteinanderreden. Es gab keine Anlage in der Nähe, es war auch keine in Planung, als die Wohnanlage entwickelt wurde. Aber nach ein paar Gesprächen und Unterschriften von Fernwärme-Interessenten aus der Nachbarschaft war klar, es würde eine Anlage geben. Ganz in der Nähe.
Von der Dachterrasse am östlichen Ende sieht man noch, wie es früher war. Auf der Rückseite einer Bahnhofstraßenvilla erstreckt sich eine große Wiese, ein sehr alter Obstbaum und einige junge stehen darauf. Wiese und Villa sind untrennbar miteinander verbunden, undenkbar, dass in den Garten ein Wohnbau gedrängt würde. Anders war es mit der Wiese direkt an der Zollgasse. Sie hatte, bei aller Freude der Nachbarn über den Ausblick, den Charakter einer Baulücke. Gut, dass sie jetzt mit fünfunddreißig Wohnungen geschlossen ist.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Wohnanlage Zollgasse, Dornbirn
Bauherr PERIGUT; raumvier projektentwicklung gmbh
Architektur Baumschlager Hutter Partners, Dornbirn; https://baumschlagerhutter.com
Statik Mader + Flatz ZT, Bregenz
Fachplanung Bauleitung: Albrecht Baumanagement GmbH
Planung 04/2017 – 12/2020
Ausführung 06/2018 – 12/2020
Grundstücksgröße 2603 m²
Nutzfläche 2600 m²
Bauweise Massivbau, Einsteinmauerwerk mit Kalkputz; Heizung über Fernwärme
Ausführung Baumeister: Oberhauser & Schedler, Andelsbuch
Energiekennwert 29 kWh/m² im Jahr (HWB)
Baukosten 9 Mill. Euro