Auf Berg II
Katze und Huhn, Schlafraum und Werkstatt, Hof und Garten,
Familie und Nachbarn – alles kreist um eine einzige, ausgebaute Tenne.
Autor: Fabian Tobias Reiner | Fotos: Petra Rainer
Entlang einer mäandrierenden Straße sitzt ganz oben auf der liechtensteinischen Anhöhe Maurens ein Konglomerat unscheinbarer, landwirtschaftlicher Gebäude. Sie schmiegen sich aneinander, als bildeten sie eine unverrückbare Einheit. Und doch, inmitten dieser historisch gewachsenen Landschaft entdecken wir einen Ausbau, der gekonnt das Vorhandene erweitert. Schneider Türtschers Projekt erzielt zweierlei: sich respektvoll in den Bestand einzufügen und gleichzeitig eine gestalterische Eigenständigkeit zu besitzen.
Hunde bellen, Kuhglocken läuten, ein hektisches Treiben der Hühner ist zu bestaunen. Von der ankommenden Seite wirkt „Auf Berg II“ durch seine Bescheidenheit. Kaum etwas stört die vorgefundene Einheit, die ablesen lässt, dass dieser Hof über Jahrzehnte gewachsen ist. An der Fassadengestalt ist ersichtlich, dass Um- und Anbauten früher sehr pragmatisch gelöst wurden. Diesen Pragmatismus führen Architekt und Architektin fort, denn von außen lässt wenig erahnen, dass die ausgebaute Tenne nun das wohnliche Zentrum dieses Hofes bildet. Einzig und allein, wenn sich mit der Eingangstür auch die Portale vollständig öffnen, wird die eingelegte Raumschicht von außen deutlich erkennbar. Der Zugang ändert sich von schlicht geöffnet zu großzügig empfangend und die Vorderfassade wird dabei stark umgedeutet. Die Architekten sprechen hierbei von einer gezielten Wandelbarkeit des Fassadenausdrucks.
„Unser Ziel war es einen eigenständigen Raum zu schaffen,
der die bestehenden Strukturen
respektiert und sensibel erweitert.“
Michaela Türtscher, Claudio Schneider
Architektin, Architekt
Katzen miauen, Katzen springen. Im Inneren des Gebäudes werden bewusst die räumlichen Qualitäten der ehemaligen Tenne akzentuiert – großzügige Raumhöhen, direkte Durchwegung von Hof zu Garten, rohe Materialien. Hinzu kommen durch den Eingriff vielfältige räumliche Erfahrungen und eine erweiterte Materialpalette. Unterschiedliche Deckenhöhen, Vor- und Rücksprünge präfabrizierter Dreischichtholzplatten, eine im Raum platzierte Stütze sowie diagonal verlaufende Wandabschnitte erlauben es, diesem kontinuierlichen Raum differenzierte Funktionen zuzuschreiben. Architektin und Architekt erzielen dabei verschiedene Lesbarkeiten und die Bauherrin genießt die Möglichkeit, jeder Ecke des Raumes eine bestimmte Bedeutung beizumessen.
Eine Nische schafft Raum für die Chaiselongue, ein Stück Strickbau markiert den Eingangsbereich, eine erkerartige Ausstülpung zum Garten hin dient dem Kochen und Essen. Der architektonische Balanceakt widerspiegelt sich auch in der gelungenen Zusammenarbeit der Akteure. Architekten und Bauherrin sprechen von einem Dialog auf Augenhöhe, bei dem Modelle gebaut, Materialien getestet, Ideen überprüft, sowie das handwerkliche Können der Bauherrin miteinbezogen wurden. Die Planungen und Ausführungen dauerten nicht weniger als fünf Jahre. Wahrscheinlich ist es aber genau dieser intensive Prozess, der bewirkt, dass der Ausbau dieselbe Eigenschaft wie alle vorangegangen An- und Umbauten am hiesigen Hof besitzt – selbstverständlich zu sein. Sogar die Hauskatzen verstehen die respektierte Holzstruktur als Kratzbaum. Durch den Essbereich wieder nach draußen gelangt, bellen Hunde erneut, läuten Kuhglocken weiterhin, beginnt hektisches Treiben der Hühner von Neuem. Doch dieses Mal wird der Bau von der Gartenfassade betrachtet. Es stellt sich ein, was sich beim Durchschreiten des Wohnbereichs verstärkt hatte. Die Anpassung und Einfügung in das Bestehende findet Einklang mit einer gestalterischen Eigenständigkeit. Ganz gezielt werden durch die Form und die Anbringung des Materials Spannungen erzielt.
Die Dachfigur erhält eine Faltung, der Küchentrakt zeigt sich als Anbau, die wiederverwendete Holzverkleidung ist stellenweise horizontal angebracht, die Aluminiumrahmen brechen bewusst mit der Holzrahmenfenstertradition, eine im Außenraum positionierte Betonstütze vermittelt vom Innenraum zum Garten. Die Architekten beabsichtigen figurative Formen und dezente Irritation, nicht zum Selbstzweck, sondern der bewussten Betrachtung wegen. Rückwirkend wird wahrgenommen, dass sogar das selbstverständliche Innere nicht nur das Ausfüllen eines negativen Raumes ist, sondern aktiv gestaltet wurde. Das zeigen die Materialien, der Formenreichtum sowie die differenzierten Maßstäbe. Der Ausbau steht ganz im Zeichen der traditionellen Bauernhauskultur – er thematisiert architektonisch Kontinuität und Bruch.
Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen (jetzt wieder geöffnet) und Veranstaltungen bietet das vai monatlich Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr auf www.v-a-i.at
Daten & Fakten
Objekt Auf Berg
Bauherr Rebekka Biedermann
Architekten Schneider Türtscher, Zürich; Gamprin
www.schneidertuertscher.com
Projektleitung Peter Büchel Baumanagement AG, Schaan
Statik Ingenieurbüro Ferdy Kaiser, Mauren;
Flütsch Holz AG, Landquart
Fachplanung Elektro: Gregor Ott AG, Nendeln;
Sanitär/Heizung: G.+H. Marxer AG, Nendeln
Planung Juli 2018–Juli 2019
Ausführung August 2019–September 2020
Grundstücksgröße 645 m²
Wohnnutzfläche Wohnhaus bestehend: 170 m²
Ausbau, Anbau: 75 m²
Keller bestehend: 85 m²
Besonderheiten Ausführung mit großem Anteil
Eigenarbeit, erheblicher Anteil des Abbruchs wiederverwertet
Ausführung Baumeister: Gebrüder Hilti AG, Schaan;
Zimmerer: Zimmerei Rupert Hoop AG, Ruggell;
Fenster: Schreinerei Frommelt AG, Schaan;
Böden: Räss Industrieböden AG, Rüthi;
Spengler: Spenglerei Biedermann AG, Vaduz;
Küche: Tischlerei Michael Hofer GmbH, Höchst;
Plattenarbeiten: Erich Vogt Anstalt, Mauren