„Sorgsam mit dem Vorhandenen umzugehen und etwas Neues, etwas Schönes zu schaffen“,
ist laut Anne Speicher, Direktorin der Pariser Büros Baumschlager Eberle

Architekten, ein Leitsatz, der sich im Pariser Wohnbau Félix Eboué widerspiegelt.

Autorin: Susanne Stacher | Fotos: Luc Boegly, Cyrille Weiner

Zwischen einem achtgeschoßigen Gebäude aus dem späten 19. Jahrhundert und einem dreizehngeschoßigen Wohnhaus aus den 1970er Jahren gelegen, überbrückt der Baukörper, der einen leicht abgerundeten Knick aufweist, geschickt den Höhenunterschied, indem er beide Firstlinien durch eine Zweiteilung des Volumens aufnimmt. Während der niedrigere Gebäudeteil im Dachbereich zwei Rücksprünge und einen Materialwechsel von Putz auf Blech vollzieht, und sich somit an die historische Pariser Materialität anlehnt, biegt sich der vier Geschoße höhere Teil mit einer eleganten Rundung nach hinten in Richtung Innenhof, entlang einer großen Holzterrasse. Auch die Dachlandschaft des niedrigeren Baukörpers weist weiche Rundungen auf, wodurch ein geschmeidig fließender Eindruck entsteht. Dies ist auch beim Eingang der Fall, wo gekrümmte, zweigeschoßige Verglasungen die Bewohner|innen einladend nach innen ziehen.

Das Pariser Büro von Baumschlager Eberle gewann den Wettbewerb in erster Linie aufgrund der städtebaulichen Lösung, die wie eine Naht – oder wegen der betonten Eleganz vielmehr wie eine Haute Couture – im heterogenen Stadtgefüge wirkt. Der Entwurf beruht auf der Schließung der Straßenfassade zugunsten eines freien, grünen und ruhigen Innenhofs, dessen terrassenförmiger Hügel den bedeutenden Höhenunterschied zum dahinterliegenden Grundstück überwindet. So können die Wohnungen von Südlage, Ruhe und dem weiten Ausblick profitieren. Die maximale Höhe war bereits ausgereizt. Um die vom privaten Investor gewünschte Quadratmeterzahl dennoch zu erreichen weist der Baukörper an den meisten Stellen eine Tiefe von 20 Metern auf. Damit trotz dieser beträchtlichen Tiefe hochwertige Wohnungen entstehen, wurden verglaste Loggien eingefügt, die einen großzügigen Außenraum bieten und von zwei Seiten Licht in die Räume dringen lassen.

Die Wohnungen haben entweder eine Loggia, einen geschwungenen Balkon oder eine Terrasse, was in Paris durchaus nicht die Norm ist. Der Wohnbau entspricht den Vorgaben der Stadt Paris für soziale Durchmischung, nämlich 60 Prozent Eigentums- (im höheren Gebäudeteil) und 40 Prozent Sozialwohnungen. Wichtig war für die Architektin Anne Speicher und ihre Kolleg(inn)en die gemeinschaftliche Nutzung des Innenhofs und der Dachterrasse im sozialen Wohnbau. Alle Wohnungen haben große Wohnzimmer, die sich zur Loggia und zur Küche hin öffnen und ein fließendes Raumkontinuum bieten.

„Es liegt in unserer Verantwortung als Planende sorgsam
mit dem Vorhandenen umzugehen und etwas Neues, etwas Schönes zu schaffen.
Diese Haltung spiegelt sich in unserem
Projekt Félix Eboué unmittelbar wider.“

Anne Speicher
Architektin

Die Schlafzimmer sind klein, den damaligen Pariser Standards entsprechend. So klein, dass nicht einmal Kästen (oder nur sehr kleine) untergebracht werden können; zwei Kinderbetten und Schreibtische gehen sich kaum aus, was für große Familien ein echtes Problem darstellt. Covid-19 hat gezeigt, dass angemessene Rückzugs- und Arbeitsräume gebraucht werden. Deshalb werden die Standards nun auch in Paris angepasst. Es bleibt also zu hoffen, dass in Zukunft Wohnen auch in Paris komfortabler wird. Rundungen sind bei diesem Gebäude das Hauptgestaltungsthema. Besonders schön sind die in den Verputz eingefügten Rillen im Sockelgeschoß, die im Streiflicht feine Schattenmuster erzeugen. Die gekrümmten Wänden ziehen sich auch ins Innere der beiden Eingänge hinein. Die Fassaden sind klassisch in drei Zonen gegliedert. Über dem haptisch gerillten, vertikal ausgerichteten Sockelgeschoß ändert sich die Richtung zugunsten horizontaler, glatt verputzter, leicht glänzender Bänder aus feinem Kalkputz, der von Steinstreifen gesäumt wird.

Die Bänder verselbstständigen sich an manchen Stellen und schwingen spielerisch aus, wodurch Balkone entstehen. Messingfarbig anodisiertes Aluminiumblech tritt in den Fensterbereichen auf, bei den Profilen und den dop­pelseitig ausfaltbaren Lochblech­fensterläden, die abdunkeln und vor Sonne schützen. Die beiden zurückversetzen Dachgeschoße des niedrigeren Baukörpers sind vollständig mit messingfarbigem Aluminiumblech verkleidet, während sich der Teil auf der anderen Seite stolz und gerade mit seinem Nachbarn aus den 1970er-Jahren misst. Ein einladender Wohnbau mit terrassiertem Innenhof, dessen oasenartiger Charakter durch einen schwarzen, rätselhaft wirkenden, künstlichen Seerosenteich verstärkt wird, konzipiert vom belgischen Künstler Hans Op de Beeck im Rahmen des Programms „1 Gebäude, 1 Kunstwerk“. Wohnen erhält hier eine allumfassende Dimension, die schließlich Wohnqualität ausmacht.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Félix Eboué, Paris (F)
Bauherr Emerige und Paris Habitat, Paris (F)
Architektur Baumschlager Eberle Architekten, Paris, www.baumschlager-eberle.com
Statik 7 Concept, Saint-Maurice (F)
Fachplanung Akustik: LASA, Paris; Gebäudetechnik: at3e, Champigny-sur-Marne (F); Landschaftsarchitektur: USUS, Zürich & Techni’Cité paysage, Paris; Nachhaltigkeit: Citae, Montignyle-Bretonneux (F)
Planung 2/2016–6/2017
Ausführung 12/2017–7/2021
Grundstück 1770 m²
Nutzfläche 9250 m² (BGF)
Bauweise Stahlbeton mit Inneniso­lierung
Ausführung GU: Bouygues Construction, Paris; Fassade: Société Antunes, Servron (F); Kalkputz: Parexlanko, Paris; Fenster MC France, Cugand (F); Schalung: Tolartois, Annezin (F); Läden: Ehret, Mahlberg (D); Türen: Malerba, Cours, Frankreich; Lifte: Kone, Essen, Deutschland; Licht: Sammode, Lille (F) und Atelier Georges, Nantes (F)
Energie- Zertifiziert nach Klimaplan der Stadt Paris: kennwert Excellenz
Baukosten 15 Mill. Euro