Grundstücke mit Baulandwidmung steigen ständig im Wert. Lässt man sie brach liegen, erhöht das den Siedlungsdruck. Bebaut man sie, wird noch mehr Boden versiegelt. Beides ist problematisch. Die Wohnanlage „Q4“ auf einer Streuobstwiese in Wolfurt beschreitet einen Weg dazwischen. „querschnitt architekten“ planten Holzboxen mit insgesamt 20 Kleinwohnungen auf Streifenfundamenten, die sich recyceln und wieder ausheben lassen. So wohnt man mit der Landschaft, ohne Grund langfristig zu versiegeln.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Boden ist wertvoll. Ohne Boden keine Nahrung. Trotzdem steigt sein Wert um ein Vielfaches, sobald er als Baugrund gewidmet ist. 11,5 bis 13 ha Land werden in Österreich pro Tag versiegelt, das entspricht zwischen 16 und 20 Fußballfeldern. Boden ist zur Wertanlage geworden, für Landschaft, Klima und Mensch ist das fatal. Das untere Vorarlberger Rheintal zählt zu den dynamischsten und innovativsten Regionen Europas, der Siedlungsteppich wird immer dichter, dazwischen gibt es noch kleine Bauernhöfe, Wiesen und Felder. Viele besitzen noch zentrumsnahe Grundstücke, die vor Jahrzehnten als Bauland gewidmet, aber nie bebaut wurden. Das erhöht den Siedlungsdruck auf die Ränder.

Wolfurt boomt, der Ortsteil Rickenbach ist noch sehr ländlich. Das große Rheintalhaus, das an der Einmündung der Stickergasse in die Brühlstraße steht, war einmal die Landwirtschaft vom Vater des Bauherrn Gerd Arnold. Die riesige Wiese dahinter ist als Bauland gewidmet. Sie grenzt im Norden an die Stickergasse, im Süden an ein unbebautes Feld, unweit davon wird am Rickenbach ein neuer Ortsteil entwickelt. Arnold bekam sehr gute Angebote für seinen Grund, doch er verkaufte nicht. „Mir war wichtig, das Grundstück für die nächste Generation zu bewahren und trotzdem Ertrag damit zu erwirtschaften“, sagt er.

„Der Kerngedanke war, kleine vermietbare
Wohneinheiten zu errichten,
die sich leicht wieder abbauen lassen.
Die mussten transportabel sein,
damit man sie in 20 oder 30 Jahren
woanders aufstellen könnte.“

Simone Burtscher
Architektin

Er überlegte, Modulhäuser aufzustellen und wandte sich an Simone Burtscher vom Wolfurter Büro querschnitt architekten. „Der Kerngedanke war, kleine, vermietbare Wohneinheiten zu errichten, die sich leicht wieder abbauen und zum Großteil recyceln lassen“, so die Architekten. „De facto entschied sich der Bauherr für eine konventionelle Bauweise. Je zwei Einheiten übereinander wurden in Pfosten-Riegel-Konstruktion von der Zimmerei oa.sys gefertigt und sogar zum Vorarlberger Holzbaupreis nominiert.“ Jede Holzbox ist 4,60 Meter breit, 15 Meter lang, etwa 6,50 Meter hoch. Pro Box zwei Einheiten, eine bodennah, die andere im ersten Stock, die Grundrisse sind super effizient. An beiden Enden im Norden und Süden vollverglast, zwischen Wohnküche und Zimmer sind Eingang, Garderobe und Sanitärzelle kompakt gebündelt, anschließend am selben Installationsstrang die einzeilige Küche. Den Innenausbau fertigte der Bauherr mit seiner Firma selbst. Die Wohnküche ist etwa 23 m2 groß und nach Süden zur 10 m2 großen Loggia orientiert. Der zweite, nordseitige Raum hat knapp 14 m2. Die Boxen wurden per Kran auf ein Streifenfundament gehoben, das sie 30 – 40 cm über Bodenniveau hebt und so vor Feuchtigkeit schützt.

Das Grundstück war einmal eine Streuobstwiese, viele schöne, alte Bäume stehen drauf, im Jahr 2018 fand ein Workshop mit Roland Wück, einem Landschaftsplaner der Wiener Universität für Bodenkultur, statt. „Die alte Riedstruktur war noch ablesbar“, sagt Burtscher. Zwanzig Einheiten wünschte sich der Bauherr, das ist nicht wenig. Burtscher entwickelte eine Art städtebauliches Leitbild, in das sie Landschaft und Bestand einbezog. Das alte Rheintalhaus ist brühlstraßenseitig und im Westen von Parkplätzen umgeben, die für die Bewohner und Bewohnerinnen der Anlage sehr wichtig sind. Der Bestand ist für die Anlage essenziell: er nimmt Infrastruktur wie Kellerabteile, die Pelletsheizung, Fahrräder, Technik und Gemeinschaftsräume auf, außerdem richtet der Bauherr im Altbau gerade auch Wohnungen her.

Vom großen, alten Nussbaum beim Rheintalhaus führt der zentrale Weg auf einem breiten Kiesstreifen zwischen den Häusern zur Wiese, wo im Sommer die Kühe des Nachbarn weiden. Je zwei Holzboxen sind durch ein offenes Stiegenhaus verbunden und ein wenig gegeneinander versetzt, was ihnen etwas Tänzerisches verleiht. Sie bilden eine Art Hauscluster aus vier Einheiten. Daher heißt die Anlage „Q4“. Diese „Quattros“ sind so auf der Wiese verteilt, dass nur ein einziger Baum gefällt werden musste. „Die Lage ist einfach mega“, sagt Bewohnerin Ramona Brunner. „Man ist rasch in Bregenz und Dornbirn und trotzdem im Grünen. Das ist wie im Paradies, wir sitzen sehr gern draußen.“ Einzig die Küche ist recht klein für zwei, die Miete dafür zu zweit besser zu stemmen. Wäre sie niedriger, könnte die Anlage sogar leistbaren Wohnraum im Rheintal schaffen.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt wiR wohnen im Rheintal mit der Landschaft, Wolfurt
Bauherr
Gerd Arnold
Architektur
querschnitt architekten, Wolfurt
www.querschnitt.cc
Statik
Hämmerle – Huster, Bregenz
www.hagen-huster.at
Fachplanung
Bauphysik: Hafner Weithas, Lauterach; Landschaftsarchitektur: Roland Wück, Wien
Planung
06/2018–07/2019
Grundstück
9385 m²
Nutzfläche
900 m² (20 Wohnungen zzgl. Nebenräumen im sanierten Rheintalhaus)
Bauweise
Holzriegelkonstruktion; Holzfenster; gemeinsame Pelletsheizung im Rheintalhaus
Besonderheiten
Mobilisierung von bereits gewidmeten Bauflächen für temporären Wohnbau
Ausführung
Zimmerer: oa.sys baut, Alberschwende; Fenster: Feuerstein, Bizau; Innenausbau: Gerd Arnold, Wolfurt; Heizung/Lüftung: Bernd Langer,
Wolfurt; Elektro: Degano, Dornbirn