Das Haus sei einzigartig zwischen St. Gallen und Chur, sagt der Widnauer Gemeindepräsident Bruno Seelos mit Stolz. Gemeinde, Betreiber und Architekten haben lange am präzisen Konzept für das Pflegezentrum Zehntfeld gearbeitet und das Projekt gemeinsam realisiert. Bereits das wohnlich eingerichtete Bistro des Hauses, gleich neben dem luftigen Foyer, zeigt: In diesem Haus haben Menschen im Alter und trotz Pflegebedarf ein wohnliches, wertschätzendes Umfeld.

Text: Katinka Corts | Fotos: Adolf Bereuter

Vor zwölf Jahren begann der Widnauer Gemeinderat, eine neue Strategie für das Alters- und Pflegewohnen zu entwickeln. Die Einwohnerzahl war stark gestiegen und um die 100 Pflegeplätze waren rechnerisch notwendig – das bestehende Heim hatte jedoch nur Platz für 45 Hausgäste. Bevor man einen Architekturwettbewerb ausschrieb, wurde seitens der Auftraggeber umfangreich recherchiert und mit allen Beteiligten gesprochen. So war auch Miriam Stoffel, die Liegenschaftsverantwortliche der Gemeinde, mit dabei: „Wir haben uns gefragt, wie Pflege heute aussieht und wie sie künftig stattfinden soll.“ Also schauten sie viele aktuelle Projekte an und lernten unterschiedliche Pflege- und Wohnformen kennen.

Pflege bedeutet heute meist (zum Glück!) nicht mehr, Menschen klinikartig unterzubringen. Dennoch gibt es Unterschiede: Mal sind es Wohngruppenkonzepte, die auf viel Gemeinschaft setzen, andernorts lebt man trotz Pflegebedürftigkeit individueller. „Wir haben uns für ein offenes Haus mit öffentlichen Angeboten entschieden“, erklärt Stoffel. „Wir wollten, dass vielfältige Begegnungen stattfinden können. Das Pflegekonzept wurde deshalb auch integrativ geplant und sollte ähnlich einem Hotel funktionieren.“ Eine der zentralen Vorgaben für den Architekturwettbewerb war das Pflegebetriebskonzept. Cukrowicz Nachbaur Architekten setzten sich mit ihrem Vorschlag durch. „Wir haben uns natürlich auch Gedanken gemacht, welche Anforderungen das Haus in 30, 40 Jahren erfüllen soll“, erinnert sich Architekt Martin Ladinger. „Ehrlicherweise mussten wir uns dann auch die Frage stellen, wie wir selber im Alter leben möchten.“

„Die Bewegung hier bringt Schwung ins Haus, merken wir. Die Menschen fühlen sich bei uns nicht abgestellt, sondern integriert und lebendig“

Frank Federer
Leiter des Hauses

Das Konzept vom offenen Haus funktioniert bereits sehr gut. Gleich beim Eingang befinden sich Frisör und Blumenladen, auch allerlei anderes gibt es hier zu kaufen. Das Bistro im Erdgeschoß ist zudem mittags für Gäste geöffnet und der Kultur- und Mehrzweckraum wird für interne und externe Zwecke genutzt. Quer durch das Erdgeschoß gelangt man in den großen Garten, der auch ins Quartier eingebunden und offen gestaltet ist. Obwohl im Haus viele Menschen mit demenziellen Erkrankungen wohnen, haben Planer und Betreiber von Schranken und geschlossenen Zonen abgesehen. Hier löst die Gartengestaltung das Problem des Weglaufens: „Büsche und Wege sind so angeordnet, dass demenziell erkrankte Personen sich einfach orientieren können“, so Miriam Stoffel. „Endet ein Weg vermeintlich in einer Sackgasse, wählen unsere Hausgäste ihn nicht – dabei ist an dieser Stelle lediglich die Bepflanzung geschickt gesetzt.“ Auch der Leiter des Hauses, Frank Federer, kann das bestätigen: „Etwa die Hälfte unserer Bewohner(innen) haben demenzielle Erkrankungen. Doch auch jene mit schweren Formen finden sich hier gut zurecht und sind nicht aggressiv.“

Im Grundriss formen die Obergeschoße eine liegende Acht nach und fassen zwei begrünte Innenhöfe. Entlang der Fassaden reihen sich die Zimmer. Das jeweils gleich am Eingang liegende Badezimmer ist funktional und dennoch edel gestaltet, auch im Raum achteten die Architekten auf wohnliche Aspekte. Ein Versatz im Raum vermittelt den Eindruck, dass Schlaf- und Wohnbereich voneinander getrennt wären. Zudem kann das Zimmer individuell gestaltet werden: „Wenn jemand nur noch im Bett liegen kann, werden Bett und alle Installationen einfach in den fensternahen Bereich verlegt“, so Ladinger. Alle Zimmer sind mit Einbaumöbeln ausgestattet, in denen bei Bedarf auch eine Kaffeemaschine und ein kleiner Kühlschrank Platz finden. Zusätzlich ist Raum für eigenes Mobiliar, damit auch ein Teil der eigenen Geschichte hier weiterleben kann. Die großzügigen Loggien schließen die Fassade an drei Gebäudeseiten ab.

Im Pflegezentrum Zehntfeld sollen Gemeinschaftsgefühl und Teilhabe gestärkt werden, zugleich werden die Menschen bei der Orientierung im großen Bau unterstützt. Bewohnerinnen und Bewohner kommen deshalb immer wieder an Umlenkstellen vorbei. Dazu gehören die offen einsehbare Wäscherei im Erdgeschoß und die große Küche, in die man durch ein breites Fenster vom Speisesaal aus blicken kann. Federer ergänzt: „Und wenn doch mal jemand offensichtlich irritiert ist und den Weg nicht findet, wird er vom Personal an den richtigen Ort begleitet.“

Daten & Fakten

Objekt:  Alters- und Pflegeheim Zehntfeld, Zehntfeldstraße 4, Widnau (CH)

Bauherr: Politische Gemeinde Widnau

Architektur: Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH, Bregenz

Bauaufsicht: Cristuzzi Architektur AG, Widnau

Fachplanung: Tragwerksplanung: D+S Baustatik GmbH, Landschaftsplanung: Vogt Landschaftsarchitekten; Geotechnik: Andres Geotechnik AG; Haustechnik: Gerster Gebäudetechnik AG und Cioce AG; Elektroplanung: Schmidheiny Engineering AG; Lichtplanung: Conceptlicht, Manfred Draxl; Vermessung: Wälli AG; Bauphysik: Studer + Strauss AG; Brandschutz: Baubüro Hollenstein GmbH; Leitsystem und Signaletik: Atelier Andrea Gassner Raum der Stille: Urs B. Roth

Planung: 10/2026–01/2023

Ausführung: 01/2021–07/2023

Grundstück: 9375 m2

Fläche: bebaut 3775 m2

Kosten: 48 Mio. CHF netto

Energiebedarf: 37,5 kWh/m2 a