Der Holzbau gewinnt auch im Gewerbebau zunehmend an Bedeutung, dennoch ist er nicht immer die erste Wahl. Umso lobenswerter ist die Entscheidung einer Bauherrschaft und deren Planer(innen) für den Baustoff Holz. In diesem Fall war es der Gesellschaft hinter Lustenauer Senf ein besonderes Anliegen, eine Architektur zu schaffen, die das Wesentliche mit ihrem Produkt gleich hat – Natürlichkeit, Tradition und Handwerk.

Text Marcella Zauner · Fotos Angela Lamprecht

Gemäß der Raumbeobachtung des Landes Vorarlberg sind rund 12 Prozent der verfügbaren Bauflächen für Betriebsgebiete gewidmet und überwiegend bereits bebaut. Das entspricht einer Fläche von knapp 1400 Hektar. Weitere 80 Hektar sind als Bauerwartungsflächen für die Entwicklung solcher Gebiete vorgesehen. In Lustenau gibt es mehrere davon. Sie befinden sich an den Siedlungsrändern und bilden einen Übergang von den Wohngebieten zur Freifläche. Sie sind gut erschlossen und erzeugen durch ihre Lage wenig Nutzungskonflikte. Der Firmensitz von Lustenauer Senf fand im jüngsten Betriebsgebiet Heitere seinen neuen Standort.

Die Marktgemeinde Lustenau hat für die adä-quate Entwicklung von Industrie- und Gewerbezonen vorausschauend einen Masterplan erarbeitet. Darin wird unter anderem festgelegt, welcher Branchenmix günstig ist, wie der Standort für verschiedene Mobilitätsformen erschlossen wird und welche Qualitätsmerkmale für Architektur, Grün- und Freiraum zu berücksichtigen sind. Beispielhaft geht das Projekt von Julia Kick Architekten, in Zusammenarbeit mit Frau Sturn Landschaftsarchitektur, mit den Anforderungen der Bauherrschaft um und zeigt, was über einen Masterplan hinaus möglich ist. Beim Ankommen sticht die Materialität, der hinterlüftete Holzschirm, sofort ins Auge. Auf den zweiten Blick gibt es die begleitende Grün- und Freiraumgestaltung zu entdecken.

„Wenn vier Personen es schaffen, scheinbar mit links, viel Freude und familiärer Unterstützung Menschen in ganz Vorarlberg und darüber hinaus mit Senf zu beglücken, haben sie und ihr Produkt ein Haus verdient, das ihrer Gelassenheit, Offenheit und Verbundenheit entspricht.“

 Julia Kick
Architektin

Diese scheint im Hinblick auf die Lage des Betriebsgebäudes, direkt angrenzend an das Lustenauer Ried, besonders wichtig. Da hier Fuchs und Hase zu Hause sind und der Mensch in einen Lebensraum eingreift, sollten Augleichsmaßnahmen und neue Nischen und Lebensräume für Flora und Fauna geschaffen werden. Dafür wurden großzügige Rankgerüste im Eingangsbereich und auf der Dachterrasse eingeplant, Stauden und Bäume gepflanzt und keine Freiflächen versiegelt. Die typischen Riedbäche auf dem Grundstück wurden verlegt und auf den Dachflächen wurden zusätzliche Retentionsflächen geschaffen. Die große Dachfläche wurde außerdem begrünt und mit einer PV-Anlage kombiniert. Die Vielfalt der Pflanzen und das generierte Mikroklima werden bereits von der Tierwelt bewohnt. Die naturnahe Gestaltung liefert nicht nur einen Beitrag zum natürlichen Lebensraum, sie wertet die entstandenen Räume ästhetisch und klimatisch auf.

Nach Eintritt in das Gebäude werden die Besucher im „Senfladen“ empfangen. Die Raumhöhe erstreckt sich über zwei Geschoße. Im großzügigen, offenen Raum führt eine Treppe ins obere Geschoß. Die Konstruktion des Holzbaus ist weitestgehend sichtbar. Die Architektin Julia Kick erklärt, dass sie nichts verstecken wollte. Neben der Konstruktion sind auch sämtliche Installationen frei verlegt. Das Prinzip galt auch für die Senfproduktion. Den Bauherren und der Bauherrin war es ein Anliegen, dass die Produktion für Besucher(innen) einsehbar ist. Sie sollte aber auch unabhängig von Besichtigungen in Betrieb sein können. So entwickelte das Architekturbüro einen Raum im Raum. Das Herz des Betriebsgebäudes bildet die Senfproduktion. Um die Produktionsräume herum führt ein Rundgang die Besucher(innen) über zwei Etagen durch alle Stationen der Senfproduktion. Anfang und Ende der Runde ist der Senfladen. Ein bewährtes Element im Laden ist die Senftheke. Bauherr Stefan Bösch berichtet, dass es die gibt, so lange er sich zurückerinnern kann. Sie scheint nicht nur für die Lustenauerin und den Lustenauer Bedeutung zu haben, im ganzen unteren Rheintal gibt es Leute, die das Unverpackt-Angebot nutzen und ihr mitgebrachtes Gefäß mit dem Lieblingssenf befüllen.

Die Sparsamkeit findet sich gleichermaßen in der Architektur wieder. Der Holzskelettbau verfügt über ein schmales, quadratisches Achsmaß. Dadurch konnten kleinere Querschnitte die statischen Anforderungen erfüllen und es wurde letztlich Material eingespart. Die einfache Grundform – der Kubus – ermöglicht eine effiziente Raumaufteilung. Die großzügigen und geschickt platzierten Fensterflächen durchfluten die Arbeits- und Aufenthaltsräume mit Tageslicht. Das stringente Fassadenkonzept wird durch Rücksprünge beim Eingangsbereich und den Dachterrassen durchbrochen. Durch die Rankgerüste und Grünelemente werden diese Nischen nochmals akzentuiert. Das große Volumen wird im Innenraum gar nicht so wahrgenommen. Dennoch bleibt einiges an Kapazität über. Sollte es in Zukunft Erweiterungsbedarf geben, kann dieser im Bestand abgedeckt werden. Ein Neubau, der zeigt, wie naturnah, ressourcenschonend und vorausschauend geplant werden kann. Bei den Flächen, die im Land für den Gewerbebau zur Verfügung stehen, könnten noch einige diesem Beispiel folgen.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Firmengebäude Lustenauer Senf

Bauherr: Neubau „Lusternauer Senf“, lustenauer-senf.at
Architektur: Julia Kick Architekten, www.juliakick.com
Statik: Bmstr. DI (FH) Martin Fetz, Hohenems
Planung: 2018–2023
Ausführung: Mai 2023–Oktober 2024
Grundstück: 2316 m²; Nutzfläche: 1390 m²
Energiekennwert: 40 kWh/m² im Jahr (HWB)
Fachplanung: Verkehrsplanung: verkehrsingenieure, Feldkirch; Geotechnik: Geotechnik 3P, Bregenz; Entwässerung: Rudhardt|Gasser|Pfefferkorn, Bregenz; Elektroplanung: i-Tec Industrieelektrik, Lauterach; Technische Gebäudeausrüstung: GMI Ing. Peter Messner GmbH, Dornbirn; Bauphysik: Gerhard Bohle, Dornbirn; Grün- und Freiraumgestaltung: FRAU STURN
pflegt den öffentlichen Raum, Sulz