Camping 4.0 für die Alpen
Ständig auf der Suche nach neuen Angeboten für ihre Gästeschaft betreibt Familie Morik seit über 45 Jahren ihr „Alpencamping Nenzing“ mit freudigem Mut zu touristischer Innovation. Restaurant, Hallen-, Freibad, Sauna und Spa sind längst da.
Architekt Reinhold Hammerer erweiterte die Camping-Möglichkeiten nun mühelos um eine luxuriöse Variante. Zehn vorgefertigte, voll möblierte Chalets mit parabelförmigem Querschnitt bieten totalen Komfort und ungestörten Panoramablick am Hang.
Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Albrecht Imanuel Schnabel
Zwei Kilometer vom Ort entfernt liegt das Alpencamping Nenzing leicht erhöht auf einer Lichtung im Wald. Früher stand an diesem Kraftplatz inmitten eines 360°-Bergpanoramas ein abgelegener Bauernhof. Vor über 45 Jahren begann Familie Morik hier mit dem Streben nach gastgeberischer Perfektion ihren Campingplatz zu errichten, der sich seither zum einzigen „Leading Campingplatz“ Vorarlbergs mauserte. Demnächst übernimmt Tochter Michelle Morik. Die soziale Drehscheibe ist das Restaurant „Garfrenga“ mit Rezeption gleich bei der Zufahrt. Dessen riesige Terrasse geht direkt in das Sonnenliegenterritorium rund um Schwimmbecken, Sauna, Spa und den Badeteich mit dem türkisen Wasser über. Einige Soldaten der Terrakotta-Armee des Kaisers von China bewachen seine Terrasse. Sie hatten als Blickfänger der „Turandot“ bei den Bregenzer Festspielen 2016 ausgedient und hier ihre neue Bestimmung gefunden. Restaurant und Wellness schmiegen sich an einen kegelförmigen Hügel, der etwa 22 Meter über dem Badeteich hoch- ragt.
Zu seinen Füßen gruppieren sich auf leicht ansteigenden, terrassierten Plateaus 160 Stellplätze für Wohnwägen unterschiedlicher Kategorie um die sozialen Epizentren des Campinglebens: Restaurant, Wellness und Badehaus. Alle sind mit Strom-, Gas-, Wasseranschluss und WLAN ausgestattet. Auf der Suche nach Entwicklungsmöglichkeiten für ihr „Alpencamping“ dachte Bauherrin Morik qualitativ an eine Verbindung von Glamour und Camping, kurz „Glamping“. Sie war für alle gedacht, die ohne Wohnwagen, dafür mit umso mehr Komfort campen wollen. Territorial schien ihr der Hang hinter dem Wellnessbereich geeignet. Architekt Reinhold Hammerer kennt sie schon rund 25 Jahre. „Es war die Idee der Bauherrin, den Hügel mit Einzelobjekten zu bebauen“, erinnert er sich. Der Hügel als absolut gewagter Bauplatz inspirierte ihn sofort. Er dachte an einen Bienenstock, die Dörfer an der Steilküste von Amalfi und durchforstete das Internet nach Mini-Appartements. Keines war hügeltauglich und campingplatzkompatibel.
Dieser Ort erforderte eine maßgeschneiderte Lösung. Zuerst wurde mit den Raumplanungsstellen abgeklärt, ob eine Bebauung überhaupt möglich war. Weil der Campingplatz in einer Mulde liegt, die von unten nicht einsehbar ist, wurde 2017 die Baugenehmigung erteilt. „Es durfte keine kantige Kiste werden und auch kein Haus mit Satteldach. Ich musste etwas anderes machen. Etwas Authentisches, das die Leute emotional berührt“, so der Architekt. Dann kam ihm das Bild der Röhre, die frei schwebend in die Landschaft ragt. „Meine Vision war ein Holztunnel in Parabelform mit einer homogenen Hülle, der vorne komplett verglast einen freien Blick in die Berge ermöglicht.“ Der Querschnitt der Parabel war optimal: Ihr sacht gerundeter Bogen harmoniert mit dem menschlichen Körper ebenso wie mit der Landschaft, weist dank seiner Verjüngung nach oben hin ein relativ geringes Volumen auf, bietet genug Höhe für eine Schlafebene, ist statisch höchst stabil und erzeugt im Inneren ein Gefühl der Geborgenheit. Außerdem hatte die Parabel am Campingplatz ein Alleinstellungsmerkmal.
„Es durfte keine kantige Kiste werden und auch kein Haus mit Satteldach. Ich musste etwas anderes machen. Etwas Authentisches, das die Leute emotional berührt.“
Reinhold Hammerer
Architekt
Blieb „nur“ noch die Frage der Umsetzung. „Ich wollte eine Behausung finden, die man vorfertigen kann“, so Hammerer. „Trotzdem sollte sie das Gefühl von Luxus erzeugen.“ Der parabelförmige Röhrenquerschnitt war als Holzleichtbau komplett in der Halle vorzufertigen, seine Bauweise entspricht der eines umgekehrten Bootsrumpfes, als Dach genügt schwarzer Naturkautschuk, von dem Wasser und Schnee dank der runden Form automatisch abrinnen. Auch die maßgeschneidert raumeffiziente Möblierung ist in vollendeter Perfektion von örtlichen Handwerkern gefertigt. Hinter dem kompakten, stylish schwarzen Bad beim Eingang liegt das Doppelbett für die Eltern, eine steile Treppe neben der Kochnische führt auf die 1,40 Meter hohe Schlafgalerie für Kinder, der Essplatz hat Blick durchs Panoramafenster. Steht man auf dem Balkon davor, machen sich Fluggefühle breit. Es gibt die Chalets in der zehn Meter langen Premiumvariante und 14 Meter langen Luxusversion. Sie verbinden höchsten Komfort mit Abenteuerfeeling. Im Einklang mit den Höhenschichtlinien sind sie so in den Hang gebettet, dass jedes einen ungestörten Blick ins Bergpanorama hat. Ihre Tragkonstruktion mit Punktfundament und Stahlstütze ist von der Lawinenschutzverbauung inspiriert. Die Chalets kamen so gut an, dass die zweite Baustufe schon geplant wird.
Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at
Daten & Fakten
Objekt zehn Chalets, Alpencamping Nenzing
Bauherr Familie Morik, Alpencamping Nenzing
Architektur Hammerer Architekten, Aarau (CH), www.hammerer.co
Statik M+G Ingenieure, Feldkirch, www.m-g.at
Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär und Energiekonzept: Werner Cukrowicz, Lauterach; Elektro: EK-Plan, Nenzing; Bauphysik: Karlheinz Wille, Frastanz; Geologie, BGG Consult, Hohenems
Planung 10/2016-10/2018
Ausführung 10/2018-05/2019
Grundstücksgröße 3000 m²
Nutzflächen zehn Lodges á 31 m² bzw. 42 m²
Bauweise Holzfertigteilbauweise
Konstruktion Außenwand und Dach mit U-Wert 0,19 W/m²K
Besonderheiten Vom Holzbaumeister wurden die Lodges fixfertig gebaut, per Sattelzug auf die Baustelle geliefert und vor Ort mittels Großkran versetzt.
Ausführung Baumeister: HTB-Bau, Nüziders; Holzbau: Heiseler, Sonntag; Stahlbau: Geiger, Nenzing; Tischler: Meier, Feldkirch; Dachabdichtung: Thomas Burtscher Ludesch; Fenster-/Außentüren: Tiefenthaler, Ludesch; Lüftung: Ender, Hohenems; Heizung: Küng, Thüringen; Sanitär: Küng, Thüringen; Elektro: Mittelberger, Götzis
Fotonachweis S. 5 oben, S. 7 Nr. 2, 3: Christoph Schöch; alle übrigen: Albrecht Imanuel Schnabel