Teils widersprüchliche Anforderungen verlangen von den Planenden
eine besonders intensive Auseinandersetzung – sowohl mit dem Ort als auch
mit den zukünftigen Bewohner(inne)n. Das Haus am Schopfacker in Trogen
macht sich die Gegensätze zum Dogma, statt deren Wogen zu glätten.
Selbstbewusst, und dennoch im Dialog.

Autorin: Isabelle Burtscher | Fotos: Adolf Bereuter

Verlässt die Appenzeller Bahn den St. Galler Bahnhof, findet man sich bald im grün-hügeligen Umland wieder. Immer weiter hinauf winden sich die Gleise, bis der schweifende Blick plötzlich auf den Bodensee fällt. In der Endstation Trogen wird man abermals überrascht: Prächtige Zellweger-Paläste säumen den Dorfplatz. Das Handelsgeschlecht führte Trogen ab dem 17. Jahrhundert mittels Textilindustrie zu Wohlstand und Ruhm. Tätigkeiten in Lyon, Genua und Barcelona inspirierten sie zur prunken Architektur, die engen Gassen lassen einen fast vergessen, dass man in der Schweiz ist. Weiterschlendernd landet man hinter der Kirche am „Schopfacker“, wo sich Haus um Haus im gleichen Stil aneinanderreiht. Alle, bis auf eines.

Der augenscheinliche Neubau ersetzt ein niedergebranntes Bauernhaus, welches unter nationalem Schutz stand. Beraten von der Denkmalpflege und einen Holzbau im Sinn, lud die Bauherrschaft vier vornehmlich in Vorarlberg tätige Architekturbüros zum Studienauftrag. Sie sahen einerseits das Potenzial, ein geschichtsträchtiges Dorf wie Trogen weiterzuspinnen. Gleichzeitig aber witterten sie die Chance, etwas Besonderes für sich zu realisieren. Soll heißen: Ein Haus, das nicht dem Markt entsprechen, eine Rendite erbringen oder anderen zwangsläufig gefallen müsse. Auf den ersten Blick erscheint das Haus einfach: ein fast quadratischer Kubus mit Lochfenster und Walmdach. Wände aus Holz stehen auf einem Betonsockel, Kern und Decken, ebenfalls aus Beton, steifen aus. Während das Erdgeschoß vermietet ist, zieht sich die Bauherrschaft in die oberen Stockwerke zurück. Im ersten wird geschlafen, im zweiten gewohnt und gekocht. „Manchmal vermisse ich den direkten Zugang zum Garten noch“, gesteht die Bauherrin. Die großen Fenster vermögen den Wald und das umgebende Grün jedoch fast bis ins Wohnzimmer zu holen.

Die aufmerksame Betrachterin erkennt nach und nach die liebevollen Details: von der mit Leder eingepackten Türklinke bis hin zur Entlüftung der Gästetoilette über die Deckenfuge zu den Wänden. Am Bau zugeschnittene Holzlatten garantieren kleinstmögliche Fugen, Materialübergänge sind schwellenlos. Die Türzargen haben dieselbe Stärke wie die Treppenbrüstungen, die Stahlabdeckung der Küche ist perfekt eingepasst. Weißtanne verkleidet die Wände, Böden und Küche sind aus Esche, betonierte Teile bleiben roh. Je nachdem, wo man sitzt und wohin der Blick fällt, fühlt man sich in einer gemütlichen Wohnstube oder einem modern offenen Wohnraum. Der Blick fällt entweder nach hinten auf das Dorf oder schweift von der Küche über die Hügel bis hinunter zum Bodensee.

„Die Verwandtschaft zu den Zellweger Häusern
ist nicht offensichtlich und schwierig
zu erklären – der Geist stimmt einfach.“

Reto Clavadetscher
Bauherr

Beim Durchschreiten der Räume wird einem abermals bewusst, wie einzigartig jede Bauherrschaft ist. Die antiken Möbel und Kunstwerke, welche der Bauherr sein Leben lang gesammelt hat, kontrastieren stark mit der zeitgenössischen Architektur. Das mächtige Himmelbett und die nackten Barockengel über dem Kamin sind nicht jedermanns Geschmack. Dennoch erscheint einem die Einrichtung stimmig: Jedes Teil wurde vom Architekten aufgenommen und am richtigen Ort platziert – dafür musste sogar das ein oder andere Fenster etwas rücken. Deren von innen dennoch präzise Setzung tritt von außen allerdings willkürlich in Erscheinung. Ambivalenzen wie diese begeistert die Bauherrschaft – dass sie im Dorf provozieren, ist ihnen bewusst.

„Ich glaube nicht, dass allen Trogenern die Erscheinung unseres Hauses gefällt“, lacht der Bauherr. „Betreten sie jedoch den Wohnraum hier oben, sind die meisten begeistert“, ergänzt die Bauherrin. Die oft widersprüchlichen Anforderungen machten die Bauaufgabe nach eigener Aussage zu einer besonderen Herausforderung. In die Struktur des Dorfes solle sich das neue Haus einfügen, ohne jedoch unterzugehen. Die Geschichte der Zellweger repräsentieren, aber dennoch keine Kopie der Zeitzeugen werden. Die antiken Objekte gekonnt integrieren, ohne zur altmodischen Wohnstube zu verkommen. Statt die Ästhetik und den Prunk jener Paläste zu kopieren, zitiert es in der Folge eher deren Tradition. Soll heißen: bürgerliches Wohnen, geräumig und großzügig, dennoch bescheiden und nicht protzig. Das Haus vereint Gegensätze. Manche kontrastieren, andere ergänzen. Selbstbewusst und dennoch im Dialog mit seinen Nachbarn. Ein gelungener Spagat.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt: Haus am Schopfacker, Trogen (CH)
Bauherr: privat
Architektur: bernardo bader architekten, Bregenz, www.bernardobader.com
Projektleitung: Joachim Ambrosig
Statik: gbd ZT, Dornbirn; https://gbd.group
Fachplanung: Haustechnik: Dorfinstallateur, Dornbirn; Elektro: Brander, Berneck (CH); Bauphysik: Lenum, Vaduz (FL)
Planung: 2014–2017
Ausführung: 08/2015–01/2017
Nutzfläche: 359 m²
Bauweise: Kernzonen aus Beton, Holzelementbau für hochwärmegedämmte Außenbauteile; Heizung über Erdwärmepumpe mit Tiefensonde; großer Kaminofen
Besonderheiten: Mehrfamilienhaus in Ortsbildschutz-zone von nationaler Bedeutung; Vorarlberger Holzbaupreis 2019
Ausführung: Generalunternehmung: Alpina Hausbau GmbH, Hard; www.alpinahaus.at