In Feldkirchs Jahnturnhalle, wo noch bis 2008 eifrig geturnt worden ist, wird nun
gemütlich zusammengesessen, nachhaltig „geshoppt“ oder konzentriert gearbeitet.
In einer von Wolfgang Ritsch sorgsam revitalisierten jugendstiligen Hülle.

Autorin: Edith Schlocker | Fotos: Maria Ritsch

Gebaut wurde die Halle 1903/04 in einem für die Zeit typischen Mix aus Jugend- und Heimatstil nach den Plänen des Wiener Architekten Ernst Dittrich, der in Feldkirch auch das Landesgericht und die Finanzlandesdirektion genauso wie einige imposante Stadthäuser beim Churer Tor entworfen hat. Turnvater Jahns Leitsatz „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ ist in die Eingangstür zu dem von der Feldkircher Turnerschaft errichteten Gebäude eingraviert und über dieser „Der Volkserziehung und dem Vaterlande“. Sätze, die heute unangenehm berühren, nicht zuletzt deshalb, weil sie von den NS-Ideologen so gründlich missbraucht worden sind. Sie wurden bei der Renovierung des Gebäudes allerdings ganz bewusst erhalten, wenn auch klug ergänzt durch eine die historischen Fakten erklärende Tafel.

Zentralere Lage

Die im Halbschatten der Schattenburg stehende Halle lag bis vor wenigen Jahren leicht abseits des Innerstädtischen. Was sich durch die hochwertige Neubebauung dieser Gegend grundlegend geändert hat. Den Boden, auf dem die Jahnturnhalle steht, ließ sie allerdings um zwölf Zentimeter sinken, was seiner straßenseitigen Fassade massive Risse zugefügt und den ehemals bemalten Boden der Turnhalle zum Leidwesen von Architekt Wolfgang Ritsch unrettbar zerstört hat. Einer der Gründe, warum sich die ursprünglich angedachte, „nur“ einfache Sanierung dieses Architekturjuwels zu einem höchst komplexen Projekt entwickeln sollte. Allerdings einem Paradebeispiel dafür, wie man einen unschätzbaren Mehrwert generieren kann, wenn eine obsolet gewordene Struktur als stimmiger Mix aus Demut vor dem Alten und Mut zu innovativ Neuem zeitgemäß transformiert wird.

„Die Jahnhalle ist eigentlich unser Wohnzimmer,
der Turm die Kommandozentrale.“

René Gmeiner und Kassian Xander
Geschäftsführer

Wolfgang Ritsch hat ein Händchen für Projekte dieser sensiblen Art und den notwendigen langen Atem, sich den diversen Überraschungen baulicher Art zu stellen, die sich während des Transformationsprozesses zwangsläufig ergeben. Für den Projektentwickler Prisma als Bauherr ist die ehemalige Turnhalle an diesem Standort von besonderer Bedeutung, nicht nur als Gebäude selbst, sondern auch in der zeitgemäßen Misch-Nutzung für dieses sich neu entwickelnde Quartier.

Von außen wie früher

Von außen schaut die „neue“ Jahnturnhalle nicht viel anders aus als die „alte“. Wurde doch alles erhalten, was gerettet bzw. rekonstruiert werden konnte. Etwa der Putz, der vom Sockel bis unter das offene Pfettendach aufsteigend immer feiner wird genauso wie dessen Farbigkeit von Grau zu einem hellen Beige switcht. Original nachgebaut wurde der als fast feudal anmutender Portikus daherkommende ehemalige Notausgang der Halle, der sich nun zum Eingang zur Bar bzw. einem Shop gemausert hat. Letztlich zum atmosphärisch aufgeladenen „Wohnzimmer“ von René Gmeiner und Kassian Xander, den zwei Geschäftsführern des vielfältig nutzbaren Gebäudes.
Das prächtige, hölzerne Gestühl des Hallendachs wurde braun gestrichen, am Boden des knapp 250 Quadratmeter großen Raums liegt ein neuer Fischgrätparkett, die Wände sind weiß, die großen – neu gerahmten – Fenster sind nun wieder – wie die ursprünglichen – geteilt.

Ein „Tisch“ schafft eine Ebene

Mitten in die Halle hineingestellt wurde ein rundum von Vorhängen verhängter „Tisch“ aus Schwarzstahl, dessen 110 Quadratmeter große „Platte“ zum Kleidergeschäft wird, während sich die Umkleiden genauso wie die kleine Küche der Bar hinter dem Vorhang verstecken. Charmant möbliert ist der Gastronomiebereich mit alten bzw. coolen neuen Möbeln sowie einigen Turngeräten von ehemals.
Der an die Halle angedockte zweite Gebäudeteil besitzt einen kleinen Turm mit Fachwerk und die eingangs schon beschriebene, reizvoll von einer Art Bossenmauerwerk aus Beton gefasste Tür. Teile der alten Böden und das originale Stiegenhaus wurden erhalten, im ersten Stock gibt es Büros sowie eine Brücke zum Shop, ganz oben unter dem offenen Dach haben die zwei Geschäftsführer ihr Büro. Komplett unspektakulär östlich an das Gebäude angedockt wurde eine mit braunem Blech verkleidete Anlieferzone.

Eine Baukulturgeschichte von
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Daten & Fakten

Objekt: Sanierung Jahnturnhalle Feldkirch, Büroeinheiten – Networking, Handels- und Veranstaltungsfläche mit Gastronomie
Eigentümer/Bauherr: Am Jahnplatz Investment GmbH, Feldkirch
Mieter/Pächter: RHG Group René Gmeiner, Feldkirch
Architektur/Bauleitung: Wolfgang Ritsch Architekten, Dornbirn
Fachplaner: Statik: SSD Beratende Ingenieure ZT, Röthis; HSL-Planung: ibee, Fußach; Elektroplanung: ek Plan, Nenzing; Brandverhütung: K & M Brandschutztechnik, Lochau; Geometer: Markowski Straka, Feldkirch; Bauphysik: Spektrum Bauphysik und Bauökologie, Dornbirn; Geotechnik: BGG Consult Dr. Peter Waibel ZT, Hohenems
Planung: November 2017 bis Juni 2020
Ausführung: Mitte November 2019–2020
Grundstücksgröße: 813,90 m²
Nutzflächen: HNFL 520,70 m², NNFL 39,30 m², VFFL 176,90 m²
Energiekennwert (HWB): 178 kWh/m² im Jahr
Baukosten (1-6): ca. 1.250.000 Euro netto
Fotonachweis: Maria Ritsch