Allerhand hat uns das letzte Jahr zugemutet. Unter anderem die Erkenntnis,
dass wir die Großkrise unserer Zeit – den Klimawandel – eher bewältigen,
wenn wir anders fragen als bisher. Etwa: Hilft all das wirklich, was uns angedient wird?
Fragen,
die auch in der Baubranche seit einiger Zeit vermehrt gestellt werden.
Etwa: Was soll ein Wohnhaus können? Wie ist das hinzukriegen?

Autor: Florian Aicher | Fotos: Sebastian Schels

Es verwundert kaum, dass Vorarlberg, in Architekturdingen eine Top-Region, auch bei diesen Fragen voranging. Acht Jahre sind es her, dass Dietmar Eberle feststellte: „Wir haben die Natur durch eine technische Umwelt ersetzt, anstatt sinnvolle Zusammenhänge für den Nutzer zu entwickeln; der wird immer mehr zum Störfaktor für technische Systeme. Ich aber will über das Verhältnis zu meiner Umwelt selbst bestimmen.“ Dem folgte ein Gebäude, das die „Intelligenz“ aus den Apparaten in Entwurf und Konstruktion verlegt. Großzügige Räume, massive Bauweise, ein-fache Konstruktion, angemessene Befensterung und – keine Heizung, keine Klimatisierung. Seit fünf Jahren besteht der Bau in Dauerbetrieb den Praxistest – ein wirkliches Null-Energiehaus.

Die Fragestellung hat sich weiterentwickelt. Lässt sich die Wechselwirkung von Dämmung und Speicherung beim Massivbau auch bei anderen Baustoffen nutzen? Wie schneidet Holz und Beton im Vergleich zum Ziegel ab? Wie ist die CO2-Lebensbilanz des Baustoffs, Haltbarkeit inbegriffen? Wie kann der Nutzer – kein intelligenter Heizungsregler, sondern ein launiges Wesen – berücksichtigt werden? Sind perfekt ausgesteuerte Kreisläufe überhaupt sinnvoll? Das sind Fragen, die ein Forschungsprojekt der Technischen Universität München verfolgt unter Federführung von Florian Nagler, einst Mitglied des Gestaltungsbeirats von Bregenz. Partner ist der Vorarlberger Hermann Kaufmann, der in München den Lehrstuhl für Holzbau innehat. Florian Nagler: „Ein Haus ist kein Smartphone. Wir müssen abrüsten: Steuerung nur wo nötig, Technik so einfach wie möglich, Konstruktion niedrigkomplex – mit anderen Worten: einfach bauen, robust. Nicht um Verweigerung von Technik geht’s, sondern Angemessenheit – übersichtlich, verständlich, handhabbar, reparierbar. Die graue Energiebilanz eines 100-jährigen Hauses interessiert uns.“ Kaufmann ergänzt: „Es ging auch um das Potenzial des Holzbaus. Dazu wurden systematisch Simulationen einer großen Anzahl an Varianten mit unterschiedlichen Massivholzwänden, Wandstärken, Raumgeometrien, Fensteranordnungen und Sonnenschutzvarianten vorgenommen.“

„Ein Haus ist kein Smartphone. Wir müssen abrüsten: Steuerung nur wo nötig,
Technik so einfach wie möglich, Konstruktion niedrigkomplex –
mit anderen Worten: einfach bauen, robust.“

Florian Nagler
Professor Architektur TU München

Methodische Vorbedingungen: Praxistest geht vor; es zählt der konkrete Bau. Einfach statt kompliziert, also sortenrein konstruieren. Wechselwirkung – etwa von dämmen, speichern, tragen – statt einseitiger Vorauswahl; spricht für Massivbau. Vor allem: robust – d. h. ein Optimum aus leistbarem Aufwand und großer Breitenwirkung statt auf ein Maximum mit höchstem Aufwand bei geringer Breitenwirkung. Natürlich braucht so ein Projekt Partner. Hier ist es die Firma B&O, der größte Baudienstleister Deutschlands, der zahllose Wohnungen betreut, selbst baut und bestens um die ökonomische Bedeutung von Energieeffizienz weiß. Der ehemalige US-Luftwaffenstützpunkt Bad Aibling nahe Rosenheim ist seit 15 Jahren die Zentrale von B&O – und viel mehr: Das Areal ist zum Labor für Bauexperimente geworden – so steht hier das bis 2019 höchste Holzhaus Deutschlands. Und es stehen nun drei Häuser nebeneinander: gleich in Wohnfläche, Kubatur und Silhouette. Unterschiedlich: der Baustoff – es sind die drei verbreitetsten Baustoffe: Holz, Ziegel, Beton; als Brettsperrholz bzw. Wärmedämmziegel (ohne zusätzliche Dämmung), bzw., noch wenig verbreitet, Leichtbeton. Die geforderten Werte für Außenwände werden mit Wandstärken von 30 cm, 42,5 cm bzw. 50 cm erreicht.

Optimiert wurde ein Raum von 18 m2 in Hinblick auf Abmessung, Belichtung, Klima. Innenseitig bündige Fenster reichen als Sonnenschutz; auf komplizierte Stürze wurde verzichtet. Das ergibt unterschiedliche Fensterzuschnitte: Die Holztafel ist rechtwinklig eingeschnitten, der Ziegelausschnitt segmentförmig überwölbt, die Betonöffnung halbkreisförmig umflossen. Einfach das Innere: Sichtbetonwände im Betonhaus, kalkgeschlämmtes Mauerwerk beim Ziegelhaus, Sichtschalung im Holzhaus; dazu wenige weiße Ständerwände für Installation. Sisal bzw. Linoleum liegen auf der Rohdecke, Decken Sichtbeton bzw. gestrichene Spachtelung. Die Nasszellen kommen als komplettes Fertigteil. Das Zusammenspiel der Gewerke ist optimierbar. Dagegen bestätigen sich die Erwartungen bei den Kosten pro m2: Mit ca. 1500 Euro liegt der Ziegel deutlich unter dem heutigen Durchschnitt, gefolgt vom Holz mit 1700 Euro und Beton mit 2000 Euro. Das Forschungsprojekt ist umfangreich dokumentiert unter einfach-bauen.net

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai nach den Covid-19-Maßnahmen wieder monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Forschungshäuser Bad Aibling, TU München, Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren, www.einfach-bauen.net

Bauherr B&O-Gruppe, Bad Aibling

Architekten Florian Nagler Architekten, München, www.nagler-architekten.de

Statik merz kley partner, Dornbirn, www.mkp-ing.com

Fachplanung Begleitung: Forschungszentrum; Einfach Bauen, TU München; Energie: Transsolar KlimaEngineering, München; Bauphysik: Horstmann + Berger, Altensteig (D); Brandschutz: PHIplan, München

Planung 10/2016–10/2018

Ausführung 10/2018–09/2020

Geschoßfläche 1944 m² (23 Wohnungen)

Bauweise Vergleich zwischen drei möglichst einfach gebauten Häusern mit den Baumaterialien Holz, Dämmbeton und Mauerwerk; Energieversorgung: Nahwärmenetz aus Biomasse

Besonderheiten: Gebäude-Prototypen mit einfachen Konstruktionen und gängigen Materialien

Energiekennwert Niedrigenergiehäuser

Baukosten 5 Mill. Euro (ohne Grundstück)

Kosten pro m² Ziegel 1500 Euro; Holz: 1700 Euro; Beton: 2000 Euro