Die Lebensgewohnheiten haben sich seit den 1990er-Jahren geändert –
kein Wunder, die Zeitspanne bedeutet mindestens einen Generationenwechsel.
Gerade Einfamilienhäuser im städtischen Kontext, reine Wohnhäuser,
bilden Vorlieben und Moden ihrer Entstehungszeit ab. Man kann sie im
Raumprogramm und in den Grundrissen erkennen. Die Küchen waren
noch strikt getrennt vom Essbereich, es gab eine Speisekammer und
die Kinderzimmer, in denen gespielt, geschlafen und für die Schule
gearbeitet wird, waren kleiner als die Elternschlafzimmer.

Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Stefan Hauer

Bei einem Spaziergang im Nordwesten von Dornbirn, im Stadtteil Rohrbach, konnte man im vergangenen Herbst eine Baustelle entdecken, die neugierig machte. Ein Siedlungshaus aus den 1990er-Jahren, das mit zwei gleichen Häusern im Dreieck verbunden ist, wurde radikal geglättet. Es bekam ein neues Dach ohne Überstand, auf dem selbst die Solarpaneele flächenbündig eingebaut sind. Eine kleine Terrasse im Osten wurde entfernt, die Fensterläden verschwanden. Und es wurde erweitert durch einen eingeschoßigen Zubau an der Südwestecke. Dieser Zubau kann dreierlei: Er beherbergt eine Erweiterung des früheren Wohnbereichs, flankiert die vergrößerte Südterrasse und überdacht die Pkw-Stellflächen an der fensterlosen Traufseite zum Innenhof der kleinen Anlage. Aus anderer Perspektive ersetzt er das alte Vordach über dem Eingang in verbreiterter und verlängerter Gestalt. Er legt sich um die Ecke des Hauses, die der Straße am nächsten ist, und schirmt den Garten vom Verkehr und vom Innenhof ab.

Das Paar, das diesen Umbau verantwortet, hatte vorher mit seinen zwei Kindern in einer loftartigen Wohnung im Dornbirner Oberdorf gelebt. Die großen Raumhöhen vermissen sie ein wenig, aber trotz einer Terrasse fehlte es ihnen dort an Grün. Sie haben lange gesucht, von Anfang an nach einem alten Haus. Warum sie nicht neu auf der grünen Wiese bauen wollten? Zersiedelung und Infrastruktur sprechen immer dagegen, dazu kommt, dass man nicht weiß, was noch rundherum gebaut werden wird! Dann haben die Eltern der Frau ihnen überraschend das Familienhaus angeboten. Die Treppe, der Garten – es bereitete ihnen allmählich zu viel Mühe. Und die 125 Quadratmeter Wohnfläche wollten einfach wieder von Kindern bewohnt werden. Stefanie Ritter-Nußbaumer brachte die Expertise für den Bestand mit, schließlich war sie in dem Haus aufgewachsen, Peter Nußbaumer brachte die Expertise des Architekten für den Umbau mit. Über das, was entstehen soll, waren sie bald einig.

Die Küche ist jetzt in den ehemaligen Wohnbereich gewandert, wo sie früher lag, ist ein Spielzimmer entstanden. So sind die Kinder auch tagsüber nah am Geschehen. Die Wand zwischen WC und Speisekammer, die links auf der nördlichen Seite der Diele liegt, wurde versetzt, dadurch kam zum WC eine Dusche, der Rest ist Garderobe. Die Situation im gesamten Eingangsbereich ist durch den Einbau von vier Schiebetüren so entspannt, dass er vom kühlen, abgeschlossenen Vorraum zum Dreh- und Angelpunkt des neuen Raumprogramms avancieren und nahtlos in die Küche übergehen kann. Das große neue Vordach unterstützt diese Verwandlung, während die dezidierte Materialwahl im Inneren zur Wohnlichkeit beiträgt: Von den kalkverputzten Wänden setzt sich das Kernesche-holz der Türen, Wandverkleidungen und Einbaumöbel ab. Auch bei der Stiege, rechts von der Diele, ist es im Einsatz, die gedrechselten Geländerstäbe der bestehenden Treppe wurden schlankweg mit ihm eingehaust.

„Bauen in bestehender Substanz birgt einen besonderen
Reiz darin, sich in definierten Rahmenbedingungen seinen
entwerferischen Freiraum zu suchen und so
diese Strukturen in die Neuzeit zu transformieren.“

Peter Nußbaumer
Architekt und Bauherr

Im früheren Essbereich wird jetzt gewohnt, eine zusätzliche Glastür lässt Morgenlicht herein. Der aktuelle Esstisch steht in Verlängerung der Küche im Zubau. Beide Bereiche haben große, gläserne Schiebetüren zur Terrasse und wenn Besuch am Esstisch sitzt, kann der Wohnbereich durch einen großen, um die Ecke laufenden Vorhang flexibel abgetrennt werden. Im Obergeschoß wird geschlafen. Ein separates WC wurde eingebaut, dadurch reicht ein Bad für die ganze Familie. Türen, Wandverkleidungen und Einbauten in Holz sowie Glastüren anstelle von Fenstern verändern den Charakter der Räume auch hier. Und überhaupt die Öffnungen. Obwohl die meisten Fenster vergrößert wurden und neue hinzukamen, wurde der Energieverbrauch durch ihre Erneuerung stark reduziert. Die Dämmung der Außenmauern aus den 1990er-Jahren zu verstärken oder zu erneuern bot bei hohem Aufwand nur ein geringes Einsparpotential bei gleichzeitigen bauphysikalischen Nachteilen und einem großen Rucksack an grauer Energie. Dann lieber in Erdwärme und Solaranlage investieren.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Haus Ritter–Nußbaumer, Dornbirn
Bauherr Stefanie Ritter-Nußbaumer und Peter Nußbaumer
Architektur Dipl. Arch. FH Peter Nußbaumer
Statik gbd, Dornbirn, www.gbd.group
Fachplanung Bauphysik: Weithas, Hard; Haustechnik: E-Plus, Egg; Baukoordination: Albrecht, Dornbirn; Geotechnik: 3P, Bregenz
Planung 09/2019–08/2020
Ausführung 06/2020–02/2021
Grundstücksgröße 400 m²
Nutzfläche 150 m² (zzgl. Keller 60 m²)
Besonderheiten Die konstruktiven Elemente wurden – aufgrund ihrer hochwertigen Ausführung – größtenteils erhalten.
Bestand Mauerwerk mit Kerndämmung; Anbau Sichtbeton
Ausführung Baumeister: Gobber, Bregenz; Zimmerer: Bilgeri, Riefensberg; Fenster: Böhler, Wolfurt; Dach: Rusch, Alberschwende; Verputz: Ömer, Lauterach; Haustechnik: Wasserhandwerk, Schwarzach; Holzböden: Klocker, Dornbirn; Innentüren: Lenz Nenning, Dornbirn; Einbaumöbel: Alexan- ders Tischlerwerkstatt, Hohenems; Küche: Johannes Fink, Riefensberg
Energiekennwert 45 kWh/m² im Jahr (HWB)