Im Walgau sagt man „d’ Sidlig“ zur Siedlung. In Nenzing schoben die Architekten Dorner\Matt je zwei L-förmige Betonfertigteilbauten gegeneinander versetzt so zusammen, dass zwischen ihnen ein Z-förmiger Weg mit Gemeinschaftsterrasse, Spielplatz und Baum frei blieb. Fünf dieser durchquerbaren Wohnblöcke flankieren wechselweise den Weg durch das Grundstück. Drinnen gibt es verschiedenste Wohntypen an einem Laubengang, dazwischen grüne Höfe. Fertig ist sie, „d’ Sidlig.“

Text: Isabella Marboe · Fotos: Juilian Forte, Bruno Klomfar

Sentimentaler Konservativismus ist den Architekten Dorner/Matt zuwider, sie streben nach Innovation, wissen aber genau, was sich bewährt hat und denken es immer wieder neu. Dabei haben sie sich ihr eigenes Repertoire erarbeitet. Dazu zählen zweigeschoßige Loggien mit hohen Lufträumen. Die schlichten Baukörper reizen ihre Rahmenbedingungen konstruktiv, räumlich und typologisch bis an die Grenze aus. Vom Städtebau bis ins Detail ist hier nichts dem Zufall überlassen. Dann übernehmen die Menschen und erfahren die Galerien, Durch-, Quer- und Ausblicke ihrer Wohnungen jeden Tag neu. Wenn in den zugehörigen Grün- und Gemeinschaftsräumen noch Gemeinsamkeit entsteht, ist das Projekt gelungen.

Nenzing besteht aus Einfamilienhäusern, zwischen deren Straßen- und Wegenetz sich vereinzelt Wiesen und Felder erhalten haben. Dieser leicht löchrige Siedlungsteppich breitet sich über den ganzen Ort aus und rinnt an seinen Rändern in der Landschaft aus. Im Süden verläuft entlang der Ill die stark befahrene Rheintalautobahn A14, wo sich viel Industrie angesiedelt hat. Nicht zuletzt deshalb gibt es in Nenzing viel Zuzug. Drei Parzellenreihen südwärts schrieb die gemeinnützige Wohnbauselbsthilfe Vorarlberg 2017 einen geladenen Wettbewerb aus. Auf dem Gelände des ehemaligen Fußballplatzes sollten insgesamt nach Fertigstellung 120 Eigentums-, Miet- und Mietkaufwohnungen entstehen. „Was ihr gezeichnet habt, kann man nicht bauen“, schildert Christian Matt die ersten Reaktionen auf ihr Siegerprojekt. Man kann es fast nachvollziehen: Die Architekten mischten eingeschoßige Vierzimmerwohnungen mit splitgelevelten Dreizimmer-Maisonetten, in deren zweigeschoßige Wohnräume ebenso hohe Loggien eingeschnitten sind. Selbst einige Zweizimmer-Einheiten haben hier noch zweigeschoßhohe Wohnbereiche, den Sondertyp des Ateliers gibt es außerdem. Natürlich mit zweigeschoßigem Luftraum plus Loggia. Immerhin gehorcht alles einem Raster, weil mit Fertigteilen gebaut wurde.

„Kein Grundriss ist gleich.
Natürlich muss man sich anstrengen, aber letztlich haben wir
innerhalb der Wohnbauförderung abgerechnet.“

Christian Matt
Architekt

Trotzdem bleibt diese Anlage mit ihren vielen Ebenen, den zweigeschoßigen Loggien, Wohnzimmern und Lufträumen sowohl für den Bauträger als auch für die Ausführenden eine Herausforderung. Die Gemeinde unterstützte sie sehr. Während des Baus fingen viele Beteiligte Feuer und wuchsen an der Aufgabe. „Kein Grundriss ist gleich. Natürlich muss man sich anstrengen, aber letztlich haben wir innerhalb der Wohnbauförderung abgerechnet“, ist der Architekt stolz. Die Qualität seiner Ausführung sieht man dem Projekt deutlich an.

An seiner Schmalseite im Norden wird das Grundstück von der stark befahrenen Illstraße begrenzt, hier taucht die Tiefgarageneinfahrt unter. Sie hält die Siedlung autofrei. Im Süden bildet der Weg „Nagrand“ die Grenze, zwischen diesen beiden führt der Hauptweg in der Mitte der Länge nach durch „d’ Sidlig.“ Im Osten und Westen ist sie von Einfamilienhäusern flankiert. Hier verlaufen hinter den Häusern gleichermaßen die zwei Hintergärten der Allgemeinheit an den Außengrenzen entlang. Diese Grünräume dehnen sich zwischen den Hauspaaren zu angenehm proportionierten, halboffenen Höfen aus. Ihre Größe orientiert sich an den Flanken der Wohnblöcke, wodurch automatisch Zugehörigkeit entsteht. Zwischen ihnen könnte man Wäsche aufspannen, das tut keiner. Aber Kinder spielen und Erwachsene sitzen in der Sonne. Die Freiräume betten die dreigeschoßigen Bauteile in die Einfamlienhauslandschaft ein. Je zwei davon sind gegeneinander versetzt und so zueinander verschoben, dass zwischen ihnen eine Z-förmiger Durchwegung ensteht, der sich in den oberen Geschoßen als Laubengang fortsetzt. Auch er ermöglicht Kommunikation. Im Erdgeschoß docken die Häuser mit einer Gemeinschaftsterrasse mit Spielplatz und Baum an den Hauptweg an. „Es ist eine sehr offene Typologie“, sagt Matt.

„d’ Sidlig“ hat Passivhausstandard und ist aus Betonfertigteilen gebaut. Das gibt den Häusern eine gewisse Strenge, ein klares Fugenbild und sorgt für sehr disziplinierte Fassaden. Im Prinzip gibt es nur drei Arten von Öffnungen: Zweigeschoßige Loggien, an denen man die Maisonetten dahinter ablesen kann, eingeschoßige Loggien mit gläseren Brüstungen und Fenstern, die halb so breit wie die Fertigteile sind. Sie sitzen aber in jedem Haus anders, weil auch jede Wohnung dahinter anders ist. Das schafft eine gewisse Lebendigkeit. „Der Beton bildet die harte Schale, die den weichen inneren Kern schützt“, so Matt. Das Innere der Höfe und Loggien ist aus Holz. Die Fenster, Parkettböden und Stiegen in den Wohungen auch. Ihre Wände aber sind weiß.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at

d’ Sidlig, Nenzing (Bauetappe 1)

Bauherr: Wohnbauselbsthilfe Vorarlberger gem.reg.Gen.m.b.H., Bregenz
Architektur: Dorner\Matt\Architekten, Bregenz, www.dorner.matt.at
Statik: Hämmerle-Huster, Bregenz
Planung: 11/2017–12/2023
Ausführung: 7/2021–03/2025
Grundstück: 5373 m²
Nutzfläche: 3330 m²
Energiekennwert: 31–32 kWh/m² im Jahr
Baukosten: ca. 12 Mio. Euro
Fachplanung: Bauphysik: DI Bernhard Weithas, Lauterach; Elektro: BIW Walter Bischof, Tschagguns; HSL: E-Plus, Egg; Entwässerung: RudhardtGasserPfefferkorn ZT, Bregenz; Landschaft: Gruber + Haumer, Bürs; u. a.