Der Charme alter Industriearchitektur ist groß.
Es handelt sich zwar um Zweckbauten, sie repräsentieren aber
auch den Stolz auf Erfindergeist, Leistung und Produktivität.

In Dornbirn gesellt sich ein neues Bürogebäude aus Holz selbstbewusst
zur ehemaligen Weberei an der Sägerstraße.

Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Bruno Klomfar, Darko Todorovic

Der Holzbau antwortet mit einer Lochfassade an seinen Längsseiten auf die Putzfassade und die regelmäßig angeordneten Sprossenfenster des Bestandsbaus. Dabei sind die Fenster durch dunkle Blechelemente vertikal zusammengefasst.
Der eingezogene Eingangsbereich am Eck mit viel Einblick ins Treppenhaus und die angrenzenden Räume bieten reichlich witterungsgeschützten Platz. Die Erdgeschoßzone ist dadurch verbindlicher als die des alten Industriegebäudes und wirkt wie ein Sockel, der die Neigung des Grundstücks ausgleicht.

Nur zehn Minuten zu Fuß vom Marktplatz nach Sü­den, dort wo die Stadt­straße die Dornbirner Ach überquert, treffen Gewerbegebiet, Einfamilienhäuser und die Fach­hochschule Vorarlberg aufeinander. Und der Campus V, ein moderner Unternehmensstandort. In der Mit­te der FH stehen die ehemalige Weberei der Firma F.M. Hämmerle, die seit Jahren Seminar-, Labor- und Verwaltungsräume der FH sowie Ateliers und Büros beherbergt, und ein neues Bürogebäude mit fünf oberirdischen Geschoßen in reiner Holzbauweise. Fast möchte man es als Erweiterungsbau der Weberei ansprechen, da die Bauherrschaft des neuen auch Eigentümerin des Bestandsgebäudes ist und eine neue Tiefgarage beide verbindet.

Flexibel angelegt wie die Produktionshallen der ehemaligen Weberei: Zur Zeit wird die große Einheit bevorzugt.
Die innere Tragachse mit drei sichtbar belassenen Stützen und Unterzügen aus Buchen-Schichtholz ist etwas aus der Mitte gerückt und deutet die Seitenwand einer zentralen Gangerschließung an.

Auf die Putzfassade und die regelmäßig angeordneten Sprossenfenster des Bestandsbaus antwortet der Holzbau mit einer Lochfassade an seinen Längsseiten. Dabei sind die Fenster durch dunkle Blechelemente vertikal zusammengefasst, die Horizontale wird durch Brandsperren in Form schmaler Verblechungen zwischen den Geschoßen betont. Die Fichtenholzfassade ist von Abschnitt zu Abschnitt abwärts nach innen geneigt und damit witterungsgeschützt. Die Erdgeschoßzone ist verbindlicher als die des alten Industriegebäudes. Mit dem eingezogenen Eingangsbereich am Eck und den großflächigen, durch die blechverkleideten Stützenkonstruktionen paarweise rhythmisierten Verglasungen wirkt sie wie ein Sockel, der die Neigung des Grundstücks ausgleicht. Sie hat einen zweiten Eingang an der Sägerstraße, wo der Gehsteig durch eine aufgelöste Mauersockelstruktur verbreitert und an das Gebäude herangeführt wird.

„Wir schätzten das 150 Jahre alte
Industriegebäude als Nutzer außerordentlich.
Es war unsere Messlatte für den neuen Bruder in puncto
Flexibilität, Raumklima und Selbstverständlichkeit.“ “

Johannes Kaufmann
Architektur

Architekt und Tragwerksplaner des Neubaus sind viele Jahre lang selbst Mieter im Bestandsbau gewesen. Sie haben das Projekt nicht nur entworfen und berechnet, sondern auch ihre Büros hinein verlegt. Diesen besonderen Verhältnissen ist wohl zuzuschreiben, dass die Bauherrschaft sich zu einem Holzbau entschloss, und sogar zu einem, der sich nicht wie üblich an einen Betonkern anlehnt, sondern einem Treppen- und Lifthaus aus Holz vertraut. Nachhaltigkeit pur und ein Novum bei fünf Geschoßen in Österreich. Ein Holzbau setzt sich mit der Zeit. Das kann sich bei fünf Geschoßen leicht auf 15 Millimeter summieren, ein Niveauunterschied, der beim Anschluss an Betontreppenhäuser berücksichtigt werden muss und hier keine Rolle spielt. In seiner aussteifenden Funktion wird der in Brettsperrholzmodulen an die Baustelle gelieferte Treppenturm von der schmalen geschlossenen Rückwand des Gebäudes unterstützt. Brandschutzauflagen werden durch die Größe des Treppenhauses kompensiert, günstig auch, dass das Gebäude von allen Seiten erreichbar und die Feuerwehr in der Nähe stationiert ist.

Zwei der fünf Geschoße sind durch eine innenliegende Treppe verbunden. Daran anschließend der halboffene Sozialraum mit Küche, Einzelbüros und Besprechungsräume.

Zu den besten Eigenschaften der ehemaligen Weberei gehört ihre Wandelbarkeit. Ihre großen, gut mit Tageslicht versorgten Produktionshallen konnten über die Jahrzehnte an verschiedene Nutzungen angepasst werden. Der Neubau ist genau so flexibel angelegt und besticht zusätzlich durch die Vorzüge eines barrierefreien Holzbaus. Jedes Geschoß bietet eine große Fläche, die individuell in Einzel-, Doppel- oder Großraumbüros unterteilt werden kann. Die innere Tragachse mit drei sichtbar belassenen Stützen und Unterzügen aus Buchen-Schichtholz ist etwas aus der Mitte gerückt und bietet sich als Seitenwand einer zentralen Gang-Erschließung an. Zurzeit wird die große Einheit bevorzugt, zwei Geschoße sind sogar durch eine innenliegende Treppe verbunden. Decken aus unverkleideten Brettsperrholzplatten und mikroperforierte Holzplatten an den Wänden sorgen für gute Akustik. Neben den fast vier Quadratmeter großen, fix verglasten Fenstern befinden sich schmalere Lüftungsflügel, die durch Lochbleche verblendet sind und auch nachts oder bei Regen offen bleiben können. Die Wertschätzung von Holz drückt sich auch in der Position des Gebäudes auf dem Grundstück aus. In der Mitte des als ebenerdiger Parkplatz genutzten Geländes stand eine ausgewachsene Rotbuche, und sie steht noch immer. Ihr zuliebe wurde der langgestreckte Baukörper weit an die nordöstliche Grundstücksgrenze gerückt. Ein Experte wachte über ihr Wohlergehen während der Bauzeit. Mit großen Fenstern an der Stirnseite nimmt der Neubau Kontakt zu ihr auf – sie sind die einzigen Verglasungen in den Stockwerken, die sich öffnen lassen. Im Sommer kann man die Illusion genießen, in der Baumkrone zu arbeiten.

Das große Fenster an der Stirnseite hat wie alle anderen einen verblendeten, schmalen Lüftungsflügel, kann aber als ganzes geöffnet werden. Es gibt als Ganzes den Blick auf die Rotbuche und die ehemalige Weberei frei.
Decken aus unverkleideten Brettsperrholzplatten, wahlweise mit Holzwolleplatten bestückt, sorgen zusammen mit mikroperforierten Holzplatten an den Wänden für exzellente Akustik.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Bürogebäude Sägen 6, Dornbirn

Bauherr F.M. Hämmerle Holding, Dornbirn

Objekt Bürogebäude Sägen 6, Dornbirn

Architekt Johannes Kaufmann, Dornbirn, www.jkarch.at

Statik merz kley Partner, Dornbirn, www.mkp-ing.com

Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär, Klima: Koller & Partner, Bregenz; Elektro: Lingg, Schoppernau; Bauphysik: Günter Meusburger, Schwarzenberg; Brandschutz: K+M, Lochau

Planung 2017–2019

Ausführung 2019

Nutzfläche 2500 m² (inkl. Tiefgarage)

Bauweise Untergeschoß Beton, darüber gesamtes Gebäude inkl. Stiegenhaus Holzbau; Heizung über Nahwärme

Besonderheiten Holz aus eigenem Wald der Bauherrschaft; Minimierung von Transporten

Ausführung Holzbau, Fassade, Fenster: Fussenegger, Dornbirn; Spengler: Peter, Götzis; Baumeister: Jäger, Schruns; Elektrik: Schneider, Schwarzenberg; Installateur: Stefan Hilbe, Dornbirn

Energiekennwert 21,5 kWh/m² im Jahr (HWB)

Fotonachweis: Titel: Bruno Klomfar; alle übrigen: Darko Todorovic