Wortschatz, überdacht und gehütet
Offene Bücherkästen, schmale Schränke, in denen Bücher unverbindlich
eingestellt und entnommen werden können, gibt es zum Beispiel in Feldkirch,
Bludenz und Lustenau. In Wolfurt gibt es gleich vier, und sie sind etwas anders:
keine Möbel, sondern kleinste öffentliche Bauwerke, die aus einem
Matura- und Lehrlingsprojekt hervorgegangen sind.
Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Cornelia Hefel, Philipp Salzgeber
Seit Mai 2017 gibt es in Wolfurt eine neue Bücherei, im Erdgeschoß des neuen Musikschulgebäudes neben dem Rathaus. Das Gebäude grenzt direkt an die Landesstraße, die in diesem Bereich als Begegnungszone ausgebildet ist. Hier befindet sich auch die Bushaltestelle Richtung Bregenz, hier wurde zur gleichen Zeit wie Musikschule und Bücherei der erste offene Bücherkasten von Wolfurt eröffnet. Eine große Nische im Musikschulgebäude bildet das Wartehäuschen, eine kleine Nische in der Seitenwand enthält Bücher.
Manchmal nehme ich mir eins und lese ein paar Seiten, während ich auf meinen Bus warte“, erzählt eine junge Frau. „Wenn es mir richtig gut gefällt, nehme ich es auch mit. Und wenn ich zu Hause im Bücherkasten Platz brauche, bringe ich meine ausgelesenen Bücher mit und stelle sie hier hinein: Irgendjemand freut sich immer.“
Dieses Angebot gehört zu einem Konzept, das drei Maturantinnen der Höheren Lehranstalt für Tourismus in Bezau entwickelt haben. Angeregt von den offenen Bücherschränken am Wiener Brunnenmarkt, die der Künstler Frank Gassner entwickelt und gebaut hat, angeregt von zwei Tischen mit Büchern und einem Kisterl für Geldspenden, die sie in Italien beim Radeln entdeckt haben, auf der Suche nach einem Projekt, das touristisch und zugleich gemeinschaftlich wirken kann, überlegten sie, wie sie Bücher in den Außenraum bringen können.
Mit ihrer Idee knüpften sie an ein vorangegangenes Bildungsprojekt des Wolfurter Gemeindeausschusses für Bildung und Kultur an. Bei der Frage, wie ihre Idee zu einem Konzept wird, das auch gute Chancen auf Realisierung hat, fanden die Maturantinnen Anna Moosbrugger, Sarah Mangele und Ines Plank engagierte Gesprächspartner(innen) in der Gemeinde. Sie lernten quasi nebenbei, wie die politischen Entscheidungsprozesse in Wolfurt strukturiert sind, spannend fanden sie das. Und dass ein Projekt wie die offenen Bücherkästen mit Rücksicht auf die Interessen aller Steuerzahlenden und aller am öffentlichen Raum teilhabenden geplant werden sollte, auch wenn das Zeit kostet.
„Wir wollen mit dem Bücherschrank einen Raum definieren, einen Ort schaffen.
Dafür brauchen wir Bodenfläche. Schon ein Quadratmeter genügt.“
Reinhard Weber und Simone Burtscher
Architektur
Schließlich stellten sie das Projekt dem Bürgermeister vor und dann dem Ausschuss für Planung und Dorfentwicklung, der es 2015 zur Umsetzung empfahl. Eine Umfrage ergab, dass die vier am häufigsten gewünschten Standorte mit den vier Ortszentren übereinstimmten, die auch der Masterplan für die Entwicklung von Wolfurt-Strohdorf (Cukrowicz Nachbaur Architekten) 2012, gut verteilt im gesamten Ortsgebiet, beschrieben hatte. Der erste offene Bücherkasten war leicht realisierbar: Er wurde in die Planung des neuen Musikschulgebäudes in Strohdorf integriert. Um seine Betreuung kümmern sich ehrenamtliche Schatzhüter(innen), und wenn er zu leer ist, werden auch ausgemusterte Büchereibestände eingestellt. Für die anderen drei wurde ein Ideenwettbewerb veranstaltet, denn die Anforderungen waren hoch: Beleuchtung, Sitzmöglichkeit, Sicherheit, Offenheit, Standfestigkeit, Robustheit – das ist etwas für Fachleute, fanden die drei Maturantinnen nach ersten
eigenen Skizzen.
Vier Wolfurter Architekt(inn)en nahmen pro bono teil, der Vorschlag des Büros querschnitt gewann, anonymisiert, in zwei Entscheidungsrunden. Der Anforderungskatalog wird – nur in diesem Entwurf – auf der soliden Basis einer quadratischen, fest verankerten Bodenplatte aus Beton erfüllt. Auf ihr steht ein Regal mit Seitenwand und einer Bank, auch gut, um beim Stöbern die Tasche sicher abzustellen, und vor allem: Es gibt ein Dach. Lichtstreifen in Winkeln und Kanten akzentuieren die schnörkellose Form. Zwei Seiten sind offen, die Glastür vor den Büchern kann aber eine dritte Wand bilden oder einladend in den Raum ausgreifen. Die Konstruktion aus Schwarzstahl legte die Realisierung durch die Wolfurter Firma Doppelmayr nahe, und tatsächlich wurde das Maturantinnenprojekt zum Lehrlingsprojekt erweitert, in der dortigen Lehrwerkstatt angefertigt. Inzwischen stehen die drei stählernen Bücherschränke am Marktplatz, in Rickenbach und an der Ach. Immer nahe bei Spielplätzen, am Wegrand, einen Aufenthalt nahelegend. Man kann auch einfach nachschauen, wie oft der Großbuchstabe L wie Lesen in der schlanken Konstruktion auftaucht.
Daten & Fakten
Objekt Wortschatz – Wolfurter Bücherkästen
Eigentümerin Marktgemeinde Wolfurt
Architektur querschnitt, Reinhard Weber, Wolfurt, www.querschnitt.cc
Statik Andreas Gaisberger, Dornbirn, www.zt-gaisberger.at
Fachplanung Grafik „Wortschatz“ Christian Reinhard, Bregenz
Planung Ideenwettbewerb 11/2015, 1/2016–11/2016
Ausführung 2/2017–5/2017
Standorte Wolfurt: Marktplatz, Kapelle Rickenbach, Dammstraße
Bauweise Schwarzstahlkorpus mit Holz und Glas auf Betonfertigteil
Besonderheiten von Jugendlichen initiiert und ausgeführt, Diplomarbeit zur Erstellung eines Konzeptes für öffentliche Bücherkästen in Wolfurt, verfasst von Anna Moosbrugger, Sarah Mangele, Ines Plank, Maturantinnen der Bezauer Wirtschaftsschulen; Ausführung der Bücherkästen durch Lehrlinge der Lehrwerkstatt Doppelmayr
Ausführung Baumeister: Schlosserarbeiten: Lehrwerkstatt Doppelmayr, Gerhard Giesinger, Peter Bliem, Wolfurt; Betonfertigteil: Rohner Betonwerk, Wolfurt; Glas: Markus Kulmitzer, Dornbirn; Elektro: Ludwig Metzler, Wolfurt; Beschriftung: visuform, Dornbirn