Die Universität für Bodenkultur (Boku) erforscht die Umwelt in allen Facetten.
Das ist wichtiger denn je, die Zahl der Studierenden wächst rasant. Das Vorarlberger
Architekturbüro Baumschlager Hutter Partners steckte über die Hälfte des
geforderten Volumens wohltemperiert in die Erde. Lärchenlamellen an der
Fassade, Solarkollektoren, Betonkernaktivierung und mehr schaffen das erste
universitäre Plus-Energie-Haus.

Autorin: Isabella Marboe| Fotos: Kurt Hörbst, Lukas Schaller

Am Rand des Türkenschanzparks liegt die Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) auf einer Anhöhe über der Stadt. Hier treffen die Nobelbezirke Währing und Ober-Döbling aufeinander. 1872 wurde die „k.k. Hochschule für Bodencultur“ mit dem Ziel gegründet, „… die höchste wissenschaftliche Ausbildung in der Land- und Forstwirtschaft zu erteilen.“ Oberingenieur Alois Koch plante den prächtigen Universitätsbau, der 1896 eröffnet wurde. „An der Türkenschanze“ hieß die Adresse damals, heute ist es die Gregor-Mendel-Straße. Vor der Hauptfassade breitet sich im Osten der Linéeplatz aus, einmal ums Eck, im Norden an der Peter-Jordan-Straße, bilden Jahrhundertwendevillen in schönen Gärten das Gegenüber der Uni. An ihrer Rückseite stehen viele Gewächshäuser, Beete und Kräutergärten für die Studierenden.

Die Boku hat sich dem Schutz und der Verbesserung der Lebensgrundlagen, dem Management natürlicher Ressourcen und ähnlichen Themen verschrieben. Keine andere Universität in Österreich wächst so stark. Über 12.000 Studierende verteilen sich derzeit auf mehrere Standorte. 2014 schrieb man einen Wettbewerb für einen Neubau mit 5650 m2 aus. Darin waren ein Hörsaal für 400 Personen, Lehr- und Arbeitsräume, eine Mensa, drei Institute sowie die historische Mineraliensammlung unterzubringen.

„Wir haben mehr als die Hälfte der Nutzfläche unterirdisch angeordnet.
Das ist ein Low-Tech-Ansatz. Dadurch müssen wir im Sommer nicht mit viel Energieaufwand kühlen und im Winter heizen.“

Gerhard Müller
Architekt,
Baumschlager Hutter Partners

Der Bauplatz liegt schräg gegenüber dem Eingang zum Türkenschanzpark an einer Kreuzung. Früher befand sich hier in einem Gründerzeithaus der sogenannte Türkenwirt, liebevoll ‚TüWi‘ genannt. Dieses autonom von Studierenden betriebene Lokal war eine Institution, kaum ein Boku-Absolvent, der hier nicht sein Diplom feierte. Mit der Maßstäblichkeit der Villen war das Raumprogramm kaum zu vereinbaren. Die Architekten Baumschlager Hutter lösten das Dilemma klug: „Wir ordneten mehr als die Hälfte der Nutzfläche unterirdisch an“, erklärt Projektleiter Gerhard Müller. „So mussten wir das maximale Volumen, das die Bauordnung erlaubt hätte, nicht ausnutzen. Wir konnten auf ein Staffelgeschoß verzichten.“ So fügt sich die Kubatur gut ein.

Der Hörsaal verschwindet dezent im wohltemperierten Erdreich. „Das ist ein Low-Tech-Ansatz. Dadurch müssen wir im Sommer nicht mit viel Energieaufwand kühlen und im Winter heizen“, so Müller. Auch sonst ist das Gebäude vom Keller bis zum Dach nachhaltig: Alle erdberührenden Bauteile und die Tragstruktur sind aus Beton, die Fassaden in Holzelementbauweise mit Mineralwolle gedämmt. Die haushohen Lärchenlamellen, die der Fassade einen Rhythmus verleihen, sind nicht nur schön, sie dienen auch als fixer Sonnenschutz. Natürliche Materialien, raumhohe Fenster aus geölter Lärche, die in Büros zu französischen Fenstern werden, ein großer Lichthof und viel Grün sorgen rundum für Wohlbefinden. Das Büro Rajek Barosch gestaltete den Freiraum: Der Steingarten zu ebener Erde sowie die Pflanzbeete und Bänke unter den Solarpaneelen am Dach sind als Freiluftklassen sehr beliebt. Von oben stürzen Pflanzenkaskaden den Lichthof bei der Essensausgabe herab. Das Institutsgebäude ‚TüWi‘ ist mit ÖGNI-Platin für seine Nachhaltigkeit zertifiziert und u.a. mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Die Architekten teilten Funktionen und Volumen geschickt auf. Im Nordosten am Eck bei der Kreuzung hat das Haus einen quadratischen Grundriss von 29 Meter Seitenlänge: Hier bezieht es städtebaulich Position und hier sind die öffentlicheren Funktionen untergebracht. Im Erdgeschoß beim Foyer befinden sich Haupterschließung, Mensa, Seminarräume, in den Untergeschoßen der Hörsaal, in den zwei Geschoßen darüber die Institute. Diese kragen über dem Eingangsbereich aus und schaffen ihm so einen Vorplatz. Der daran anschließende, abgesenkte Innenhof spielt eine Schlüsselrolle. Er belichtet das Untergeschoß und wirkt als einschnürende Zäsur zwischen dem Kopf des Gebäudes und seiner halb so schmalen, um ein Stockwerk niedereren Fortsetzung. Der Hof ist direkt vom Gehsteig aus über eine Treppe zu erreichen, die mit einer Vierteldrehung von einem kleinen Podest im abgesenkten Freiraum landet. Er dient dem neuen ‚TüWi‘-Lokal mit Hofladen als Lichtquelle und Vorhof. Hier steht nun eine Ibiza-Bar, jammt eine Band, hocken Studierende auf Palettenmöbeln. Villenbewohner(innen), die um ihre Nachtruhe bangten, nahm die abgesenkte Lage des ‚TüWi‘ den Wind aus den Segeln.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Türkenwirtgebäude BOKU Wien
Bauherr Bundesimmobiliengesellschaft (BIG)
Architektur Baumschlager Hutter Partners, Dornbirn, Niederlassung Wien, www.baumschlager-hutter-partners.com
Statik Buschina Partner ZT, Wien, www.buschina.at

Fachplanung

Energie: HL Technik, München;
Heizung Lüftung Sanitär: pgg Blueberg Control, Kapfenberg und RUSS, Bruck an der Mur;
Elektro: pgg Blueberg Control und Helmut Fortmüller, Bruck an der Mur; Brandschutz Röhrer, Wien;
Bauphysik: Buschina Partner ZT, Wien;
ÖGNI-MNachhaltigkeits-Zertifizierung: Drees & Sommer, Wien: BOKU Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen;
Landschaftsarchitektur Rajek Barosch, Wien

Planungsbeginn 2014 – 2016
Ausführung 2016 – 2018
Grundstücksgröße 2924 m²
Nutzfläche 7779 m²
Bauweise Holzhybridbauweise
Besonderheiten Leuchtturmprojekt für nachhaltiges Bauen
Energiekennwert 10 kWh/m² im Jahr (HWB)
Fotos: Kurt Hörbst, Lukas Schaller